Ausschreitungen in Frankreich Gewalt, Zerstörung und mehr als 1300 Festnahmen
Ausgebrannte Fahrzeuge, geplünderte Geschäfte: Die Bilder aus Marseille, Lyon oder Paris ähneln sich. Auch in der vierten Nacht in Folge kam es vielerorts zu Gewaltausbrüchen. Mehr als 1300 Menschen wurden festgenommen.
Da war er doch gerade drei Tage lang in Marseille am Mittelmeer. Präsident Emmanuel Macron hatte dort Anfang der Woche versprochen, schneller als zuvor Phase zwei seines 5-Milliarden-Euro-Plans "Marseille en grand" ("Marseille ganz groß") umzusetzen. Doch renovierte Schulen oder eine neue Straßenbahnlinie reichen anscheinend nicht für die in vielen Vierteln von Armut und Bandenkriminalität gezeichnete Stadt.
"Macron, handeln Sie!"
Marseille war letzte Nacht der Hotspot. Überall wurde geplündert. Auch in Alexanders Tabakladen. Er äußerte sich fassungslos im Nachrichtensender BFM-TV. "Ich stehe um 5 Uhr auf, arbeite, gebe mein Bestes. Meine drei Angestellten musste ich erstmal arbeitslos melden. Ich habe nichts mehr, alles ist kaputt. Macron, handeln Sie! So kann das nicht weitergehen. Ich verlasse das Land, weil hier Chaos herrscht."
In Lyon zeigt sich ein ähnliches Bild. "Meine Kasse habe ich 500 Meter weiter gefunden. Sie haben alles ausgeräumt. Die, die früh um 4 Uhr kamen, waren sauer, weil nicht mehr viel da war. Das waren Jugendbanden - fünf, zehn, 15 Mann stark", berichtete ein Inhaber eines zerstörten Geschäfts für Bademoden. Die Polizei sei anderswo im Einsatz gewesen, sie habe zu wenig Leute gehabt.
Bis früh um 5 Uhr habe er versucht, aufzuräumen, um heute wieder zu öffnen. "Das ekelt mich an. Was habe ich ihnen getan? Sie wollten nur alles zerstören. Nun will ich Anzeige erstatten, aber die Schlange ist zu lang."
Nahverkehr war eingestellt
Für Aufregung sorgte auch, das aus Sicherheitsgründen ab 21 Uhr landesweit keine Busse und Bahnen mehr fuhren. In Paris war mancherorts schon um 7 Uhr Schluss.
Im Netz kursieren Hassvideos und Aufrufe zur Gewalt. Regierungsvertreter trafen sich mit Vertretern der Plattformen, die ihrerseits nicht zum Sündenbock gemacht werden wollten. Präsident Macron pocht darauf: "Über die Netzwerke organisiert sich Gewalt. Bei den Jüngsten scheint es zu einem Ausstieg aus der realen Welt zu führen und man hat den Eindruck, einige leben auf der Straße ihre Videospiele aus."
Le Pen bringt Ausnahmezustand ins Spiel
Außerdem sorgt ein Schreiben der zwei größten Polizeigewerkschaften Frankreichs für Aufsehen. Man sei im "Krieg" und kämpfe gegen "Schädlinge" und "wilde Horden". Ein Sprachgebrauch, der an die rechtsextreme Fraktionschefin Marine Le Pen erinnert. Sie fordert: "Im Angesicht von Horden, erfasst von zerstörerischer Wut ohne Grenzen, gibt es keine andere Lösung, als die Rückkehr zur Ordnung der Republik durch lokale Ausgangssperren, und wenn die Lage anhält oder sich verschärft - durch einen Ausnahmezustand."
Ihr Parteichef Jordan Bardella, selbst in einer Vorstadt groß geworden, erklärte, Finanzen seien in den Banlieues nicht das Problem, da sei Geld "drübergegossen" worden. Man habe den Vierteln alles gegeben.
Belegt sind mehr als zehn Pläne, um die Vorstädte dynamischer zu machen. Für Bardella liegen die Probleme in Kultur und Sicherheit, letztlich in der Einwanderung. Innenminister Gerald Darmanin hat dazu bereits ein neues Gesetz vorgelegt, dass es im Parlament nicht leicht haben dürfte.
Mehr als 1300 Festnahmen
Vergangene Nacht hat sich der Innenminister wohl aber verrechnet. Sprach er doch von einer geringeren Intensität der Krawalle. Dann aber schnellte die Zahl der Festnahmen auf einen Rekordwert - mehr als 1300 - die Polizei griff also auch mehr durch. Auch die Zahl der Plünderungen vervielfachte sich. Dafür wurden weniger Autos abgebrannt und weniger Polizisten verletzt.
Yazid Kherfi hat eine Vorstadtvergangenheit und ist heute Mediator und Dozent in Nanterre, dem Wohnort des 17-jährigen Nahel, der am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle von einem Polizisten erschossen wurde. Sein Rezept: "Es fehlt an Kontaktbeamten, die mal im Hausflur mit den Jugendlichen sprechen, das ist nicht so schwer. Leute, die selbst aus den Vierteln stammen. Je mehr Dialog, desto weniger Gewalt."