
Folgen des russischen Kriegs Das Leid der ukrainischen Soldatenwitwen
Mindestens 46.000 ukrainische Soldaten sind laut Präsident Selenskyj im Krieg gefallen. Die Angehörigen kämpfen nicht nur mit ihrer Trauer, sondern auch mit mangelndem Verständnis für ihre Situation.
Kateryna Krupska lebt in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Browary, einem Vorort von Kiew. In einer Ecke der Küche steht ein Tisch, zwei Lavendelsträuße, eine Tulpe und ein gerahmtes Porträt schmücken ihn. Ein junger Mann mit kurz rasiertem dunklen Haar lacht in die Kamera. Es ist Katerynas Freund Wadym. "Sein Lebensmoto war: Alles wird gut", erzählt Kateryna.
Im August 2023 wollten beide heiraten. Doch dazu kam es nicht. Denn im Juni fiel Wadym an der Front in der Nähe der ostukrainischen Stadt Bachmut. Eine Rakete traf das Fahrzeug, in dem er mit anderen Soldaten unterwegs war. Er und sieben weitere starben. Kateryna erfuhr durch Wadyms Kameraden von seinem Tod. Ohne Ankündigung tauchten sie bei ihr auf der Arbeit auf.
Mindestens 46.000 tote ukrainische Soldaten
"Ich begann zu schreien", sagt Kateryna über diesen Moment. "Ich weiß noch, dass ich von meinem Stuhl abrutschte und zu Boden fiel. Es war mir egal, wer dabei zusah."
Der erste Monat danach sei so schrecklich gewesen, dass sie sich eigentlich nicht daran erinnern möchte, erzählt sie. Die 41-Jährige konnte kaum schlafen und nur mit wenigen Menschen über ihren Verlust sprechen. Zeitweise dachte sie sogar über Selbstmord nach. Schließlich begab sie sich in psychologische Behandlung. Bis heute nimmt sie Antidepressiva.
So wie Kateryna geht es vielen Menschen in der Ukraine. Zwar gibt es keine offiziellen Statistiken zur Anzahl von Soldatenwitwen und -witwern. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach kürzlich von mehr als 46.000 getöteten ukrainischen Soldaten. Beobachter gehen davon aus, dass die Zahl noch deutlich höher liegt.
Fehlende Empathie für Witwen
Tetjana Wazenko-Bondarewa setzt sich für die Frauen und Lebenspartnerinnen der getöteten Soldaten ein. Sie selbst hat ihren Mann im Krieg verloren. Nach seinem Tod gründete sie die Gemeinschaft "My rasom". Zu der Gruppe gehören etwa 5.000 Frauen, deren Männer gefallen sind.
"My rasom" organisiert Rechtsberatungen für die Witwen, hilft bei der Suche nach psychologischer Betreuung. Doch vor allem der Austausch mit anderen Betroffenen sei wichtig, sagt die Aktivistin.
Andere Menschen könnten oft nicht nachvollziehen, was die Witwen nach dem Tod ihrer Männer durchmachen. Oft habe sie selbst Dinge gehört, die sie sehr verletzt hatten.
"Man kann nicht einmal mehr atmen, und dann sagt einem jemand: 'Mach dir keine Sorgen, in einem Jahr wirst du einen neuen Mann finden'". Schon zwei Wochen nach dem Tod ihres Mannes habe sie diesen Satz gehört, sagt Wazenko-Bondarewa.
Sie vermisst Empathie gegenüber den Soldatenwitwen in der ukrainischen Gesellschaft. Es gebe keine Kultur der Unterstützung für die trauenden Witwen, findet sie.
Angehörige der Gefallenen erhalten Entschädigung
Im Gegenteil. Viele Menschen wollten den Frauen vorschreiben, wie sie mit dem Verlust umzugehen haben.
Uns wird ständig beigebracht, wie wir trauern sollen, wie lange wir ein schwarzes Kopftuch tragen sollen, wann wir roten Lippenstift auftragen dürfen.
Wenn die Frauen über ihre getöteten Männer reden, hörten sie Sätze, wie "Hör auf, so viel über ihn zu reden, er ist weg, du kannst ihn damit nicht zurückholen", erzählt Wazenko-Bondarewa.
Manche der Frauen erleben auch Neid, weil sie nach dem Tod ihres Mannes Anspruch auf finanzielle Unterstützung vom Staat haben. Angehörige von getöteten Militärgehörigen können eine einmalige Entschädigung von 15 Millionen Hrywnja erhalten, das sind umgerechnet mehr als 346.000 Euro. Diese Summe wird aufgeteilt: Die Ehepartner, die Eltern und die Kinder der Gefallenen bekommen Anteile.
Viele Soldaten zunächst als vermisst gemeldet
Für viele Frauen ist dieses Geld überlebensnotwendig. Sie sind nach dem Tod ihrer Männer erst einmal nicht in der Lage zu arbeiten und Geld zu verdienen. Das Geld anzunehmen sei keineswegs einfach, sagt Wazenko-Bondarewa.
"Es zerreißt einen regelrecht. Es ist als würdest du ihn verkaufen", sagt sie. Viele der Frauen bräuchten Zeit, um die Unterstützung annehmen zu können.
Das Geld wird erst an die Angehörigen ausgezahlt, nachdem der Tod des Soldaten bestätigt wurde. Oftmals können die Militärbehörden den Tod aber nicht bestätigen, weil es nicht gelungen ist, den Leichnam zu bergen.
In diesem Fall werden Zeugen befragt. Kann auch dann nicht der Tod bestätigt werden, werden die Soldaten als vermisst gemeldet.
Aufwändige Gerichtsverfahren
Mittlerweile kann in der Ukraine eine vermisste Person nach sechs Monaten für tot erklärt werden. Vor dem Krieg galt eine Frist von drei Jahren ab der Vermisstmeldung. Der Prozess kann aber sehr langwierig sein, sagt Olha Termeno.
Oft seien dafür aufwändige Verfahren vor Gericht nötig. Für die Angehörigen sei es oft kein einfacher Schritt, ihre Liebsten für tot erklären zu lassen. "Die Entscheidung hängt davon ab, ob sie bereit sind, Abschied zu nehmen und zu begreifen, dass der Soldat wirklich gestorben ist", sagt Termeno.
Kateryna Krupska musste ihren Freund nicht vor Gericht für tot erklären. Seine Leiche konnte geborgen werden. Finanzielle Entschädigung hat sie nicht erhalten, weil sie mit Wadym nicht verheiratet war.
Sie hätte das Geld in einem Gerichtsverfahren erstreiten können, hat sich aber dagegen entschieden. "Bei Wadym und mir nie ging es nie um Geld. Ich halte es für unwürdig, vor Gericht zu beweisen, dass er die Liebe meines Lebens war und dass ich nur mit ihm zusammengelebt habe."