Illustration mehrerer Souvenir-Münzen verschiedener Kryptowährungen, die in Wasser untergehen.

Konfliktregion Abchasien Im Krypto-Mekka gehen die Lichter aus

Stand: 19.01.2025 12:20 Uhr

Kryptowährungen boomen. Aber das "Schürfen" virtueller Münzen ist energieintensiv, deshalb lohnt es an Orten mit niedrigen Strompreisen - wie der Konfliktregion Abchasien. Doch die kommt der Krypto-Rausch teuer zu stehen.

Der Wahlsieg Donald Trumps hat Kryptowährungen einen neuen Schub gegeben. Bei einer Kryptowährungskonferenz in Abu Dhabi kündigte Trumps Sohn Eric an, die Industrie voranzutreiben. Zugleich bewarb er ein neues Unternehmen der Trump-Familie, die Kryptowährungsplattform World Liberty Financial. Anfang Dezember stieg der Bitcoin erstmals auf einen Wert von 100.000 US-Dollar und blieb seither auf dem Niveau.

Dies lässt es noch lukrativer als bisher erscheinen, nicht nur in Kryptowährungen zu investieren, sondern diese auch herzustellen. Mit spezieller Hard- und Software kann jeder überall die virtuellen Münzen "schürfen" und dafür eine Belohnung einstreichen. Allerdings ist der Prozess bislang sehr energieintensiv. Deshalb sind Orte mit niedrigen Stromgebühren besonders attraktiv.

Krypto-Mekka am Schwarzen Meer

Ein solcher Ort ist Abchasien am Schwarzen Meer. Die Konfliktregion liegt innerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen Georgiens. Sie sieht sich als unabhängige Republik, wird als solche aber nur von Russland und wenigen anderen Staaten anerkannt.

Abchasien verfügt nominell über staatliche Strukturen für seine etwa 245.000 Einwohner. Tatsächlich funktioniert vieles aber wie in einer Großfamilie, in der jeder zuerst an sich und seine nächsten Verwandten denkt.

Zu den weniger gut organisierten Dingen zählt das Einziehen der ohnehin niedrigen Stromgebühren. Nach Schätzungen zahlen etwa 40 Prozent der Stromnutzer nichts - beste Bedingungen für energieintensive und lukrative Unternehmungen wie das Schürfen von Kryptowährungen.

2017 verkündete die abchasische Führung sogar Pläne für die Schaffung einer eigenen Kryptowährung namens "Abkhasia Republic Coin". Die isolierte und weitgehend von Russland abhängige Region wollte von internationalen Investments auf diesem unregulierten virtuellen Finanzmarkt profitieren - vergleichbar mit anderen Grauzonen im Orbit Russlands wie Transnistrien oder der russisch okkupierte Donbass in der Ukraine.

Strom dank Wasserkraft

Ganze Miningfarmen wurden in verlassenen Fabrikgebäuden errichtet. Ausreichend Strom schien es dank eines gigantischen Wasserkraftwerks am Fluss Enguri zwischen Abchasien und dem georgischen Kernland zu geben. Außerdem lieferte Russland subventionierten Strom.

Der Anteil der in Abchasien und anderen Grauzonen geschürften Kryptowährungen am weltweiten Bestand ist mangels offizieller Statistiken nicht festzustellen. Im internationalen Ranking des University of Cambridge Center for Alternative Finance stehen an erster Stelle die USA, China und dessen Nachbar Kasachstan - vor allem seitdem China 2021 das Mining im eigenen Land angesichts des erheblichen Strombedarfs verboten hat.

Außer Kontrolle

In Abchasien boomte das Kryptomining bereits 2018 so stark, dass der Chef des Energieunternehmens Chernomorenergo vor Überlastungen des überalteten Energienetzes warnte. Nachdem 2020 ein neuer Präsident, Aslan Bschania, gewählt worden war, sei der Stromverbrauch noch einmal um ein Drittel auf drei Milliarden Kilowattstunden gestiegen, erinnert sich der abchasische Journalist Inal Chaschig, Chefredakteur der "Chegemskaja Prawda", im Interview mit tagesschau.de.

Offenbar habe Bschania seinen Leuten die Einfuhr von Mining-Geräten erlaubt. Trotz erheblicher Probleme mit der Stromversorgung sei das Mining dann legalisiert worden.

Nach einem massiven Einbruch der Energieversorgung wurde es dann doch eingeschränkt, immer wieder werden Erfolgsmeldungen über die Beschlagnahme illegal betriebener Geräte veröffentlicht. Doch treffe es meist einfache Leute, die drei bis fünf Geräte in ihren Privathäusern betrieben, so Chaschig.

Mining-Farmen würden selten ausgehoben. Einer Firma seien die Geräte zurückgegeben worden - der Eigentümer sei Mitarbeiter des Präsidenten gewesen. Die Strafverfolger stünden unter Kontrolle der Mächtigen in den Sicherheitsbehörden, der Regierung und der Präsidialverwaltung.

Notabschaltung wegen Wassermangels

Dem immensen Stromverbrauch stehen Versäumnisse bei der Instandhaltung und Modernisierung der Energie-Infrastruktur gegenüber. Aussichtsreiche Baupläne für Wasserkraftwerke in der bergigen Region wurden nie umgesetzt, das Stromnetz nicht den Anforderungen angepasst.

Das Wasserkraftwerk am Enguri-Staudamm wurde seit dem Bau in den 1970er-Jahren nicht grundlegend saniert. Betrieben wird es gemeinsam von Abchasen und Georgiern. Die für die Verteilung der gewonnenen Energie zuständige Direktion auf der georgischen Seite teilte weit vor Ende 2024 mit, dass Abchasien seinen Jahresanteil bereits ausgeschöpft und zudem nicht gezahlt habe.

In diesem Winter kommt ein sehr niedriger Wasserstand hinzu, der sich voraussichtlich erst nach der Schneeschmelze in den Höhen des Kaukasus' im Frühjahr normalisieren wird. Am 11. Dezember berichteten Medien in Abchasien von einer Notabschaltung angesichts des kritisch niedrigen Wasserpegels und des mangelnden Zustroms an Wasser.

Vergeltung Russlands

Bislang konnte Abchasien solche kritischen Phasen durch den Kauf von mehr subventionierter Energie aus Russland ausgleichen. Doch die Führung in Moskau fordert bereits seit dem 1. September handelsübliche Preise für die Stromlieferungen. Außerdem senkte sie die Zuzahlungen an den abchasischen Haushalt. Die russische Lebensmittelbehörde verbot die Einfuhr von Mandarinen nach Russland - eines der Hauptexportprodukte Abchasiens. Auch die andere Einnahmequelle - Besuche russischer Touristen - versiegte in den vergangenen Monaten.

Es handelt sich um die Antwort der Führung in Moskau auf die Weigerung Abchasiens, russischen Staatsangehörigen den Kauf von Grundstücken und Wohnraum zu ermöglichen. Ein entsprechendes Gesetz lehnte das Parlament nach Protesten im Juli 2024 ab. Ein russisch-abchasisches Investitionsabkommen mit erheblichen Vorteilen für russische Geschäftsleute kostete Präsident Aslan Bschania das Amt. Im November musste er nach tagelanger Belagerung durch Demonstranten seinen Posten aufgeben. Ihre Befürchtung: ein Ausverkauf an Russland und der Verlust der verbliebenen Eigenständigkeit.

Notversorgung über die Feiertage

Doch Abchasien hat schlicht kein Geld mehr und die Bevölkerung muss teuer bezahlen: Im Dezember gab es tagsüber nur für knapp fünf Stunden Strom. Schulen und Kindergärten wurden geschlossen, Krankenhäuser setzen Generatoren zum Notbetrieb ein. Während der Feiertage lieferte Russland eine begrenzte Menge an Strom.

Bis zum 20. Februar sollte es bei einem normalen Verbrauch keine Unterbrechungen geben, erklärte der abchasische Stromversorger Chernomorenergo. Doch bereits jetzt gebe es wieder Blackout-Zeiten von sechs Stunden pro Tag, so der Journalist Chaschig.

Wege aus der Krise?

Im Dezember beriet das Parlament über ein verschärftes Verbot des Kryptominings. Am Rande einer Debatte am 18. Dezember kam es zu einem bewaffneten Streit zwischen zwei Abgeordneten. Als ein Dritter schlichten wollte, wurde er tödlich von einer Kugel getroffen. Der Schütze tauchte unter. Unklar blieb, ob der Streit in Zusammenhang mit der Debatte stand.

Die politische Lage bleibt angespannt. Am 25. Februar wird ein Nachfolger für Präsident Bschania gewählt. Einer der Kandidaten, Badra Gunba, gilt laut abchasischen Medienberichten als einer der größten Betreiber von Mining-Farmen und Gegner des Mining-Verbots. Ein anderer Kandidat, Adgur Ardzinbar, war es, der 2017 als Wirtschaftsminister die Krypto-Industrie in Abchasien vorantreiben wollte.

Der Journalist Chaschig ist einer derjenigen aus der Zivilgesellschaft, der an Wähler und Kandidaten appelliert, nicht nur an den eigenen, kurzfristigen Vorteil innerhalb der Familie, sondern an ganz Abchasien zu denken. Wie viele unter den Frustrierten fordert er Pläne zur Überwindung der inzwischen existenziellen Energiekrise.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. November 2024 um 19:00 Uhr.