Aufnahme von Migranten Steinmeier sieht Deutschland und Italien an "Belastungsgrenze"
Eine gerechtere Verteilung und strenge Überwachung der EU-Außengrenzen: In einem Interview hat Bundespräsident Steinmeier Vorschläge gemacht, um Deutschland und Italien bei der Aufnahme von Migranten zu entlasten. Nötig seien "europäische Lösungen".
Anlässlich seiner Reise nach Italien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf eine gerechte Verteilung ankommender Migranten in Europa gedrängt. Deutschland wie Italien seien bei der Aufnahme von Flüchtlingen "an der Belastungsgrenze", sagte Steinmeier in einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera". Beide Länder trügen große Lasten. "Ich nehme es deshalb ernst, wenn ich aus Italien, aber auch aus deutschen Städten laute Hilferufe höre", betonte Steinmeier.
Steinmeier: Zahl der Ankünfte muss sinken
Es müsse nun "gemeinsam und konzentriert an humanen und langfristig tragfähigen europäischen Lösungen" gearbeitet werden. Er sprach sich für eine dauerhafte Regelung zur Verteilung von Geflüchteten in der EU aus. "Bei den Verhandlungen über das gemeinsame Asylrecht muss auch ein dauerhafter Solidaritätsmechanismus geschaffen werden, damit es nicht nur freiwillige Solidarität gibt", sagte der Bundespräsident.
Steinmeier rief zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf: "Wir müssen uns alle anstrengen, damit die Lasten tragbar bleiben und die Zahlen der Ankommenden wieder sinken." Nötig seien eine gerechte Lastenteilung in Europa und eine strengere Kontrolle und Überwachung der europäischen Außengrenzen. "Das kriminelle Geschäft der Schlepper muss entschlossen bekämpft werden."
Offenbar 2.500 Menschen zurückgehalten
Steinmeier ist bis Freitag in Italien. Zum Auftakt traf er Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella in Syrakus auf Sizilien. Dorthin und auf das italienische Festland werden viele Geflüchtete aus Lampedusa gebracht. Die kleine italienische Insel liegt etwa 190 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt. In den vergangenen Tagen waren Tausende Bootsmigranten aus Afrika dort an Land gegangen. Allein heute kamen dort 900 Menschen an, berichtet die Nachrichtenagentur Ansa.
Steinmeier wurde von Staatspräsident Mattarella in Empfang genommen.
Die Insel rief inzwischen den Notstand aus. Das dortige Erstaufnahmelager ist nach Ansa-Angaben weiter überfüllt. Mehr als 1.700 Menschen befinden sich im sogenannten Hotspot, darunter knapp 450 unbegleitete Minderjährige. Schleuser schicken vor allem von Tunesien aus die Menschen mit teils seeuntauglichen und überfüllten Boote nach Lampedusa. Die tunesische Küstenwache hat in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben mehr als 2.500 Migranten von einer Überfahrt nach Europa abgehalten.
In Italien sind seit Jahresbeginn nach Regierungsangaben mehr als 130.000 Migranten angekommen - und somit bereits fast doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2022.
EU-Innenminister einigten sich auf Reform
Deutschland nimmt aktuell keine weiteren Migranten aus Italien über den freiwilligen Solidaritätsmechanismus auf, weil Italien sich weigert, im sogenannten Dublin-Verfahren Menschen zurückzunehmen.
Im Juni hatten sich die EU-Innenministerinnen und Innenminister auf eine Reform des Asylsystems in der Europäischen Union geeinigt. Unter anderem sollen die Staaten an de Außengrenzen entlastet werden, indem sich die anderen Staaten solidarisch zeigen und Geflüchtete aufnehmen. Andernfalls müssen sie eine Ausgleichszahlung leisten. Bislang gibt es nur eine freiwillige Verteilung in andere EU-Staaten. EU-Rat und EU-Parlament müssen über die Reform noch verhandeln.
Bundesregierung: "Gesamtstaatliche Kraftanstrengung"
Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner wollte nicht direkt Steinmeiers Äußerung kommentieren, wonach sich Deutschland an der "Belastungsgrenze" befinde. Es sei aber richtig, "dass die hohen Zugangszahlen eine große gesamtstaatliche Kraftanstrengung" nötig machten, sagte er in Berlin. Bund, Länder und Kommunen seien hier "gemeinsam belastet" und müssten auch "gemeinsam an einer Lösung arbeiten".