Besetzte Gebiete Wo Putin sich von Ukrainern wählen lässt
Russland hat knapp ein Fünftel der Ukraine annektiert - Gebiete, die eine Schlüsselrolle bei der Inszenierung von Putins fünfter Präsidentschaftswahl haben. Um Ergebnisse zu produzieren, nutzen sie Sonderklauseln im Wahlgesetz.
Russland hält knapp 18 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt, dort leben etwa fünf Millionen Menschen - zehn Jahre, nachdem Russland seinen hybriden Angriff auf das Land begann. So sehen es große Teile der internationalen Gemeinschaft.
Die Version des Kremls lautet: Russland hat nun neue Territorien, die im Herbst 2022 (beziehungsweise im März 2014 auf der Krim) in Referenden selbst den Wunsch bekundet hatten, von Moskau annektiert zu werden. Um dieser Erzählung immer weiter Bestätigung zu verschaffen, werden dort nicht nur Behörden und Infrastruktur russifiziert, sondern auch ihre angebliche Loyalität gegenüber dem Kreml inszeniert. Bei den für das Wochenende ausgerufenen Präsidentschaftswahlen in Russland kommt ihnen besondere Bedeutung zu.
Denn für Kremlchef Wladimir Putin gilt es zu zeigen: Er hat zum einen die besetzten ukrainischen Gebiete soweit unter Kontrolle, dass er dort Wahlen durchführen lassen kann, während seine Truppen zum Teil wenige Kilometer entfernt gegen ukrainische Truppen kämpfen. Und er ist zum anderen in der Lage, dort ein Ergebnis zu seinen Gunsten zu erzielen, das mit dem Narrativ der Ergebenheit übereinstimmt - folglich müssen sowohl die Zustimmungsrate als auch die Wahlbeteiligung hoch ausfallen.
Bitte um Kandidatur aus Donezk
Zu diesem Zweck überlassen die von Russland eingesetzten Kräfte nichts dem Zufall. Schon bei der Inszenierung von Putins Kandidatur hatten die Kräfte um Donezk eine Schlüsselrolle.
Anfang Dezember ließ sich Putin bei einer Verleihung von Militärorden von Artjom Schoga, Parlamentssprecher in der selbsternannten Volksrepublik Donezk, ansprechen und darum bitten zu kandidieren. "Ich wollte Sie im Namen unseres Volkes, unseres Donbas, der heimgeholten Lande bitten, an diesen Wahlen teilzunehmen. Dank Ihrer Entscheidung haben wir Freiheit und das Recht auf eine Wahl erlangt. Wir wollen an den russischen Präsidentschaftswahlen teilnehmen. Und Sie sind unser Präsident", sagte Schoga, der schon beim Festakt anlässlich der Annexion der besetzten ukrainischen Gebiete an Russland in der ersten Reihe gesessen hatte.
Putins Antwort, er habe sich nach längerer Überlegung zu seiner fünften Kandidatur entschlossen, folgte prompt.
Drei Tage später gab die zentrale russische Wahlkommission bekannt, in den besetzten Teilen der vier Oblasten um die Städte Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson solle abgestimmt werden. Auch bei dieser Gelegenheit versicherten die von Russland eingesetzten Machthaber öffentlich, wie wichtig es ihnen und den Bürgern sei, an den Wahlen teilzunehmen.
Artjom Schoga, Funktionär in der selbsternannten "Volksrepublik Donezk", fungiert immer wieder als Stichwortgeber für Putin.
Vorzeitige Abstimmung
Bei der Umsetzung der inszenierten Wahlen haben die von Besatzer Russland eingesetzten Kräfte eine klare Aufgabe - und weitreichende Befugnisse. Die Zeitung "Kommersant" berichtete Anfang Februar, dass in den "vier neuen Teilgebieten der Russischen Föderation", in denen noch immer das Kriegsrecht gilt, vorzeitig abgestimmt werde. Die jeweilige örtliche Wahlkommission lege die Zeiträume dafür selbst fest. Galina Katjuschtschenko, Vorsitzende der von Russland eingesetzten Wahlkommission in der besetzten Gegend um Saporischschja, wird mit den Worten zitiert, ihre Mitarbeiter würden zu den Bürgern nach Hause kommen, damit diese abstimmen können.
Grundlage dafür ist ein Passus über "schwer zugängliche oder abgelegene Gebiete" im russischen Wahlgesetz, der ansonsten zum Beispiel für Arbeiter auf Arktis-Bohrinseln gilt und 2024 auch für die annektierten ukrainischen Gebiete sowie die für die Kriegslogistik wichtigen Städte Belgorod, Brjansk und Kursk gelten soll.
"Der Westen braucht Russland nicht, wir brauchen Russland!", steht auf einem Wahlplakat Putins in Sewastopol.
"Hausbesuche" seit dem 27. Februar
Das Gesetz sieht vor, dass Wahlberechtigte frühestens 20 Tage vor dem Hauptwahltag ihre Stimme abgeben können - wie die staatliche Agentur Tass meldet, gehen die von Moskau eingesetzten Machthaber in der Gegend um Saporischschja also seit dem 25. Februar von Haus zu Haus. Bis zum 12. März hatten laut Katjuschtschenko 36,22 Prozent der 470.342 Wahlberechtigten abgestimmt, die über die Bequemlichkeit der Abstimmung im eigenen Haus hocherfreut seien. Am 17. März, dem letzten Tag der regulär drei in Russland vorgesehenen Abstimmungstage, sollen auch Wahllokale öffnen.
In der besetzten Gegend um Cherson war die vorgezogene Stimmabgabe für die 468.472 von Russland registrierten Wahlberechtigten schon am 3. März abgeschlossen, wie die dortige von Russland eingesetzte Verantwortliche Marina Sacharowa mitteilte. Begonnen hatte sie demzufolge am 27. Februar, abgestimmt worden sei unter anderem auch unter freiem Himmel und durch Hausbesuche.
Auch die übrigen Systemparteien Russlands sind in der Ukraine nicht untätig: Die Kommunistische Partei schickt einen LKW mit ihrem Parteiemblem und der Aufschrift "Humanitäre Hilfe an das Brudervolk des Donbas - kein Fußbreit den Faschisten!" nach Luhansk.
Zweifel an Wahlbeobachtern
In der von Russland annektierten ehemaligen "Volksrepublik" Donezk läuft die Abstimmung für 1,97 Millionen Menschen seit dem 10. März und soll am 14. März abgeschlossen sein, ebenso im Gebiet um Luhansk. Dort ist man offenbar besonders auf die zahlreichen Senioren unter den 1,65 Millionen Wahlberechtigten eingestellt: Erstmals gebe es "Stimmzettelschablonen" und Lupen für Sehbehinderte, Infomaterial hänge auch in Braille-Schrift aus, betont die dortige Zuständige, Elena Krawtschenko. Auf der 2014 Russland einverleibten Krim können die Menschen außerdem so wie in ganz Russland online abstimmen.
Auch Wahlbeobachter solle es geben, versichert Gennadij Askaldowitsch von der russischen Wahlkommission: Mehr als 1.000 internationale Beobachter aus dem Ausland reisten an, auch in die besetzten Gebiete - unter "maximalen Sicherheitsmaßnahmen". Allerdings stammen diese vor allem aus Staaten, die autokratisch bis diktatorisch regiert werden - darunter Venezuela, Myanmar, Kamerun und Serbien. Aus Deutschland wollen nach ARD-Informationen drei Abgeordnete der AfD als "Experten für Demokratie" anreisen, die OSZE oder die russische Organisation "Golos" sind hingegen nicht erwünscht. Unter diesen Umständen dürfte eine unabhängige Besichtigung und Prüfung des Wahlvorgangs kaum möglich sein.
Um von Ungereimtheiten abzulenken, bleibt Putin noch ein weiteres probates Mittel: Den Besuch eines der Territorien während oder kurz nach der Wahl, um dort Pressebilder zu produzieren, auf denen ihm entweder die Menschen zujubeln - oder er die Arbeit der von Moskau eingesetzten Behörden überprüft. Schon ein Jahr zuvor hatte Putin sich in der von Russland eroberten Hafenstadt Mariupol den vorgeblich florierenden Wiederaufbau zeigen lassen. Bei seiner Amtseinführung, die für den 7. Mai geplant ist, dürften die Loyalisten ohnehin in der ersten Reihe sitzen.