Menschen suchen in Kiewer Metroanlagen Schutz vor den russischen Angriffen

Massive russische Angriffe Mehr als eine Million Ukrainer ohne Strom

Stand: 28.11.2024 12:44 Uhr

Nach massiven russischen Luftangriffen in der Ukraine sind Hunderttausende von der Stromversorgung abgeschnitten. Der ukrainische Präsident Selenskyj warf Russland den Einsatz von Streumunition vor.

Die Ukraine meldet erneut landesweite massive russische Luftangriffe. Ziel sei wieder vor allem die Energieinfrastruktur, schrieb der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko auf Facebook. Er sprach von "massiven feindlichen Angriffen". "Angriffe auf Energieanlagen finden in der ganzen Ukraine statt", führte er aus.

Selenskyj: Streumunition erschwert Rettungsarbeiten

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland dabei auch den Einsatz von Streumunition vor. Die russische Armee habe bei Angriffen in mehreren Regionen diese Art von Munition verwendet und die Energieanlagen damit de facto vermint, erklärte Selenskyj in Onlinenetzwerken. Er bezeichnete dies als "verabscheuungswürdige Eskalation". 

Der Einsatz von Streumunition erschwere "deutlich die Aufgabe unserer Rettungskräfte und unserer Energie-Ingenieure, die die Folgen der Angriffe beheben müssen", hob der ukrainische Präsident hervor. Die Verwendung von Streumunition und der Beschuss von ziviler Infrastruktur sei "eine sehr verabscheuungswürdige Eskalation von Russlands terroristischen Taktiken". 

Streumunition
Bei Streumunition handelt es sich um Bomben oder Raketen, die eine Vielzahl von Sprengsätzen freisetzen. Viele davon explodieren nicht gleich, sondern mitunter erst Jahre später. Auf diese Weise vermint Streumunition große Flächen und stellt eine langfristige Gefahr für Zivilisten, Rettungskräfte und Räumpersonal dar.

Putin: Antwort auf ATACMS-Beschuss

Kreml-Chef Wladimir Putin sprach von einer Reaktion auf ukrainische Angriffe mit Waffen aus den USA und Großbritannien. "Heute Nacht haben wir umfassende Schläge ausgeführt", sagte er während eines Besuchs in der kasachischen Hauptstadt Astana. Dabei seien mit 90 Raketen und 100 Drohnen insgesamt 117 Ziele getroffen worden. "Es war eine Antwort auf fortgesetzte Angriffe auf unser Territorium mit ATACMS-Raketen", fügte Putin hinzu.

Darüber hinaus drohte er mit direkten Attacken auf die Führung in Kiew - auch mit der in der vorigen Woche erstmals eingesetzten neuen Hyperschall-Mittelstreckenrakete "Oreschnik". "Derzeit wählen das Verteidigungsministerium und der Generalstab Ziele auf ukrainischem Gebiet aus. Dazu könnten militärische Einrichtungen, Rüstungs- und Industrieunternehmen oder Entscheidungszentren in Kiew gehören", sagte er

Bisher haben russische Angriffe keine Regierungsgebäude in der ukrainischen Hauptstadt getroffen. Kiew ist durch Luftabwehrsysteme stark geschützt. Putin droht allerdings, die neue russische Hyperschallrakete könne nicht abgefangen werden.

Wladimir Putin

Wladimir Putin droht mit direkten Angriffen auf Kiew

Stromausfälle im ganzen Land

Von Stromausfällen im Zuge der Angriffe betroffen sind die Hauptstadt Kiew sowie die südlichen Regionen Odessa und Mykolajiw, die westlichen Regionen Lwiw, Wolhynien und Riwne sowie Dnipropetrowsk und Donezk im Osten. Allein in den drei westlichen Regionen wurde den örtlichen Behörden zufolge die Stromversorgung von mindestens einer Million Menschen unterbrochen - und das bei winterlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt, die derzeit in weiten Teilen des Landes herrschen.

In der Region Lwiw seien 523.000 Stromkunden von der Energieversorgung abgeschnitten, erklärte der dortige Gouverneur Maksym Kosyzkyj in Online-Netzwerken. Im anliegenden Gebiet Iwano-Frankiwsk waren mehr als 300.000 Abnehmer ohne Strom. Die Behörden in Riwne sprachen von 280.000 Betroffenen und in Wolyn von weiteren 215.000 Kunden ohne Strom. Vor allem in der Gebietshauptstadt Riwne sei ein Teil der Schulen auf Fernunterricht umgestellt worden.

Der Betreiber des nationalen Stromnetzes DTEK führte nach eigenen Angaben Notstromabschaltungen vor allem in Kiew, Odessa und Dnipro aus.

Präsidialamtschef Andrij Jermak schrieb auf Telegram, Russland habe Raketen gehortet, um die ukrainische Infrastruktur anzugreifen und während der kalten Jahreszeit Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu führen. "Ihre verrückten Verbündeten haben ihnen geholfen, auch Nordkorea", schrieb er.

Neun Stunden Luftalarm in Kiew

Explosionen wurden aus fast allen Landesteilen gemeldet, unter anderem auch im ostukrainischen Charkiw und dem zentralukrainischen Kropywnyzkyj. Jeweils einen Verletzten gab es Behördenangaben nach in den Gebieten Winnyzja und Odessa.

Zuvor hatte die ukrainische Luftwaffe landesweiten Luftalarm ausgelöst, in der Hauptstadt Kiew galt dieser in der Nacht bis in die Morgenstunden über neun Stunden am Stück.

Die Ukraine wehrt sich seit über zweieinhalb Jahren gegen eine russische Invasion. Das russische Militär greift regelmäßig das ukrainische Energiesystem auch in westlichen Regionen nahe der EU-Grenze an. Dabei wurde bereits mehr als die Hälfte der ukrainischen Energie-Infrastruktur zerstört.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 28.11.2024 14:26 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. November 2024 um 10:00 Uhr.