US-Soldaten verladen ATACMS-Raketen

Reaktionen auf US-Entscheidung Zustimmung in Europa, Warnungen aus Moskau

Stand: 18.11.2024 14:17 Uhr

Die Verbündeten der Ukraine in Europa begrüßen die Entscheidung der USA, Waffen mit großer Reichweite zum Einsatz auf Ziele in Russland freizugeben. Der Kreml wirft der US-Regierung hingegen vor, "Öl ins Feuer" zu gießen.

Beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel ist die Entscheidung der USA über die Erweiterung des Einsatzes von ATACMS-Raketen durch die Ukraine auf breite Zustimmung gestoßen. Nach langem Zögern erlaubt die US-Regierung der Ukraine nun, diese von den USA gelieferten Waffen für Angriffe tief in Russland einzusetzen.

"Wird die Fähigkeiten eines Taurus nicht ersetzen können", Stephan Stuchlik, ARD Berlin, zur US-Freigabe weitreichenderer Waffen

tagesschau24, 18.11.2024 17:00 Uhr

Zunächst ist diese Freigabe laut übereinstimmenden Medienberichten auf die russische Grenzregion Kursk beschränkt, wo russische und nordkoreanische Soldaten offenbar kurz vor einer großen Gegenoffensive stehen. Offiziell bestätigt wurde der Kurswechsel von der US-Regierung bisher nicht. Es gibt aber schon Reaktionen der Verbündeten, die den Kurswechsel indirekt bestätigen.

Großer Zuspruch in Brüssel

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, die Freigabe erlaube es der Ukraine, russische Abschussbasen zu zerstören. Bei der Selbstverteidigung der Ukraine gehe es darum, "dass man nicht abwartet, dass die Rakete erst über die Grenze fliegt", sagte Baerbock im RBB. Manche ukrainische Orte seien so dicht an der Grenze zu Russland, dass die Luftverteidigung nicht helfe, weil die Rakete viel zu schnell einschlage.

Auch die polnische Regierung befürwortete die Entscheidung von US-Präsident Joe Biden. Biden habe auf die Entsendung nordkoreanischer Truppen nach Russland und massive russische Raketenangriffe "in einer Sprache geantwortet, die Wladimir Putin versteht", teilte Polens Außenminister Radoslaw Sikorski mit. "Das Opfer einer Aggression hat das Recht, sich zu verteidigen."

Laut dem litauischen Außenminister Gabrielius Landsbergis ist aber nicht klar, ob die Ukraine über genug ATAMCS-Raketen verfügt, um mit Angriffen innerhalb Russlands einen Unterschied auf dem Schlachtfeld zu bewirken. "Ich mache den Champagner noch nicht auf", sagte Landsbergis, der gemeinsam mit den anderen baltischen Ländern seit langem intensiv für mehr militärische Unterstützung der Ukraine wirbt.

Was sind ATACMS-Raketen?

A. von Beyme, M. Niewiadomski, NDR, tagesschau24, 25.04.2024 11:00 Uhr

Freigaben auch aus Frankreich und Großbritannien?

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, ebenfalls den Einsatz von Waffen für ukrainische Angriffe in Russlands zu gestatten. "Immer wieder habe ich gesagt, dass die Ukraine in der Lage sein sollte, die von uns gelieferten Waffen zu nutzen, nicht nur um die Pfeile zu stoppen, sondern auch um die Bogenschützen zu treffen."

Seit Monaten hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei den westlichen Partnern um eine Freigabe für den Einsatz der Waffen mit großer Reichweite gegen russische Ziele gerungen. Neben den USA liefern Frankreich und Großbritannien der Ukraine bereits solche Waffen. Aus beiden Ländern hatte es zuletzt Berichte gegeben, sie würden die von der Ukraine geforderte Freigabe erwägen. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot sagte heute, diese Option werde weiterhin in Betracht gezogen.

Russland warnt vor Drittem Weltkrieg

Aus Moskau wurde die Entscheidung der USA scharf verurteilt. Sollten die Berichte offiziell bestätigt werden, würde sie zu einer "grundlegend neuen Situation in Bezug auf die Beteiligung der USA an diesem Konflikt" führen, warnte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Es sei offensichtlich, dass die scheidende US-Regierung "Öl ins Feuer" gießen wolle.

Peskow verwies auf Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin im September, wonach Moskau einen solchen Schritt als Kriegseintritt der NATO-Staaten verstehen würde. Putin hatte für diesen Fall "angemessene Entscheidungen" angekündigt.

Wladimir Jabarow, der erste stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten des russischen Föderationsrates, warnte, die Genehmigung könne zum Beginn des Dritten Weltkriegs führen. "Das ist ein sehr großer Schritt", sagte Jabarow der russischen Nachrichtenagentur TASS. "Und die Amerikaner gehen ihn wegen eines scheidenden alten Mannes, der in zwei Monaten für nichts mehr verantwortlich sein wird."

Kritik aus Nordkorea

Der mit Russland verbündete nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un kritisierte die Rolle der USA und des Westens. Diese würden den Konflikt in der Ukraine nutzen, um "den Umfang ihrer militärischen Interventionen weltweit auszuweiten", zitierte die staatliche Nachrichtenagentur KCNA Diktator Kim. Sie würden die ukrainischen Soldaten als "Stoßtrupp" benutzen, um Erfahrungen im Kampf gegen Russland zu sammeln. Nordkorea hat westlichen Geheimdiensten zufolge rund 10.000 Soldaten nach Russland geschickt und unterstützt das Land auch mit Waffenlieferungen.

Debatte um "Taurus"-Lieferungen

Mit Warnungen vor einer weiteren Eskalation begründete Bundeskanzler Olaf Scholz bislang stets seine Ablehnung, "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Laut einem Regierungssprecher sieht Scholz nach der US-Freigabe keinen Anlass, seine Haltung zu überdenken.

Die Grünen wären im Gegensatz dazu zu "Taurus"-Lieferungen bereit. "Wenn auf unser Land Raketen, Drohnen, Bomben fallen würden, wenn Kinderkrankenhäuser angegriffen werden würden, wenn die Stromversorgung angegriffen würde, wenn einfach unser ganz normales Leben angegriffen worden wäre, dann würden wir uns auch verteidigen", sagte Außenministerin Baerbock.

Auch die Union unterstützt den Einsatz weitreichender Raketen gegen bestimmte Ziele in Russland. "Es wäre logisch, wenn Deutschland sich wie die USA verhielte", sagte der CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul der Rheinischen Post.

BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht hingegen bezeichnete den Einsatz westlicher Waffen als weiteren Schritt in Richtung eines großen Krieges. "Taurus"-Marschflugkörper zu liefern, die von der Bundeswehr programmiert werden müssten, sei "praktisch eine Kriegserklärung an die Atommacht Russland", so Wagenknecht.

Oleksii Makeiev, Botschafter der Ukraine, zu den Hilfen aus Deutschland

Morgenmagazin, 18.11.2024 05:30 Uhr

Ukraine will Aufhebung aller Einschränkungen

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, forderte im ARD-Morgenmagazin das Ende alle bestehenden Beschränkungen für den Waffeneinsatz. Russische Flughäfen und Munitionsdepots, wo Bomben und Raketen gelagert werden, "müssen, können und dürfen nach Völkerrecht angegriffen werden", so Makeiev. "Viele sagen hier im Westen, wir wollen keinen Dritten Weltkrieg, aber der Dritte Weltkrieg ist für uns Ukrainer schon lange im Gange." 

Präsident Selenskyj ging gestern in seiner abendlichen Videoansprache indirekt auf die Berichte über die Freigabe ein. "Angriffe werden nicht mit Worten geführt", sagte er. "Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen."

Gabor Halasz, ARD Berlin, tagesschau, 18.11.2024 12:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. November 2024 um 13:07 Uhr.