US-Wahl 2024
Gerrymandering in den USA Wo Politiker sich ihre Wähler aussuchen
Wer in den USA gewählt wird, hängt in einigen Landesteilen weniger vom Wählerwillen ab als von der Gestaltung der Wahlkreise. Denn die werden mancherorts von den Politikern selbst zugeschnitten - mit Folgen für weite Teile der Bevölkerung.
Je näher die US-Wahlen rücken, desto häufiger sehen die US-Amerikaner Wahlwerbespots im Fernsehen. Allerdings nicht überall: Im Bundesstaat Mississippi im Süden der USA lohnt sich die teure Werbung kaum. Denn der Staat geht seit Jahrzehnten immer sicher an die Republikaner. Und das, obwohl in Mississippi der Bevölkerungsanteil an Afroamerikanern so groß ist wie in keinem anderen Bundesstaat. Traditionell wählen viele Afroamerikaner eher die Demokraten. Trotzdem hat die Partei hier im Süden kaum Einfluss.
Und das liegt auch am Wahlsystem, sagt Andre Wagner, Direktor der Demokratischen Partei in Mississippi:
Wenn Afroamerikaner 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen und wir vier Abgeordnete im Repräsentantenhaus haben, dann sollten meiner Meinung nach zwei von ihnen Afroamerikaner beziehungsweise Demokraten sein. Aber weil quasi alle Afroamerikaner in Wahlkreis 2 sind, ist deren Einfluss so sehr verkleinert worden, dass es nur einen Abgeordneten der Demokraten gibt.
Was Wagner hier beschreibt ist ein System, das immer wieder für heftige Kritik und sogar Gerichtsprozesse sorgt: das sogenannte Gerrymandering. Und das funktioniert so: Die Partei die die Mehrheit hat, verändert die Wahlkreise zu ihrem Vorteil - etwa so, dass zum Beispiel fast alle Nachbarschaften in denen überwiegend Afroamerikaner leben, in einen einzigen Wahlkreis zusammenpackt werden. Alle anderen Wahlkreise werden dann von Weißen dominiert.
Sieg der Republikaner quasi gesetzt
Das führt dazu, dass die Wahlkreise zum Teil völlig unübersichtliche Flickenteppiche sind, meint Bobby Harrison. Der Journalist arbeitet seit fast 30 Jahren als Politikreporter in Mississippi:
Es gibt bei uns viele Nachbarschaften, wo zum Beispiel die eine Straßenseite in einem Wahlbezirk und die gegenüberliegende in einem anderen Wahlbezirk ist. In der Region Hinds County hat das bei der vergangenen Wahl Pannen ausgelöst: Zum Teil haben Stimmzettel gefehlt, weil sie ins falsche Wahllokal geliefert wurden.
Auch bei den regionalen Wahlen im Bundesstaat ist ein Sieg der Republikaner quasi gesetzt. Denn durch das Mehrheitswahlrecht reicht es, wenn sie in einem Wahlkreis eine einzige Stimme mehr haben als die Demokraten, um den Abgeordneten zu stellen.
"Die Republikaner haben eine überwältigende Mehrheit an Abgeordneten in beiden Kammern unseres Landtags. Sie können damit blockieren, dass überhaupt über ein neues Gesetz auch nur debattiert wird", beschreibt Wagner die Auswirkungen. "Und das, obwohl wir Demokraten bei der Wahl 48 Prozent der Stimmen bekommen haben. Wir sollten also wenigstens in der Lage sein, eine Parlamentsdebatte zu starten."
Monica Taylor, eine Wählerin aus Hinds County, spricht vor der Wahlkommission über strukturelle Probleme im Wahlsystem.
Nachwirkungen der Segregation
Das Wahlsystem sorge dafür, dass vor allem viele Afroamerikaner gar nicht erst ihre Stimme abgeben, meint Jarvis Dortch. Er ist der Chef der Bürgerrechtsvereinigung ACLU in Mississippi.
"Politiker sollten nicht ihre Wähler aussuchen, sondern Wähler ihre politischen Vertreter", sagt Dortch. "Aber durch die aufgeheizte Stimmung beim Thema Weiße und Schwarze ist es für die Politiker einfacher, sich die passenden Nachbarschaften auszusuchen, mit denen sie die Wahl sicher nicht verlieren können."
Die Unterdrückung schwarzer Wähler habe vor allem im Süden der USA eine lange Tradition, sagt der Bürgerrechtsvertreter. Mississippi war früher eines der Zentren für Sklaverei in den USA - mit Auswirkungen bis heute: Im Wahlkampf gehe es meistens nicht um Inhalte, sagt Jarvis Dortch, sondern um Angst. Man müsse "seine Leute" gegen "die Anderen" verteidigen: "Wenn Politiker gewählt werden, weil sie sich nur auf die große Mehrheit der weißen Wähler verlassen, dann ignorieren sie die Probleme der schwarzen Wähler, weil sie deren Stimmen eh nicht brauchen. Das sollte nicht so sein."
"Schwarze Wahlstimmen zählen!", steht auf dem Mundschutz, den die Bürgerrechtsaktivistin Carol Blackmon trägt. Sie setzt sich gegen die strukturelle Benachteiligung schwarzer Wahlberechtigter in Mississippi ein.
Klagen gegen Gerrymandering
Immer wieder bringen Bürgerrechtler das Gerrymandering vor Gericht - mit unterschiedlichem Erfolg. Vor dem Obersten Gerichtshof der USA sind sie zwar gescheitert. Aber in den einzelnen Bundesstaaten haben Gerichte unfair verteilte Wahlkreise gestoppt und damit beiden großen Parteien Grenzen gesetzt.
"Beide Seiten machen es, die Republikaner in konservativen und die Demokraten in liberalen Staaten", betont Politikreporter Bobby Harrison. "Ich denke, hätten wir mehr fair aufgeteilte Wahlbezirke, dann hätten wir auch mehr Politiker die sich um die Mitte bemühen und mehr umsetzen könnten anstatt Extremisten, die alles komplizierter machen."
Einzelne Bundesstaaten wie Arizona haben ihre Regeln geändert: Dort bildet inzwischen eine politisch ausgewogene Kommission neue Wahlkreise. In vielen anderen Bundesstaaten dürfen aber nach wie vor Politiker ihre Wähler aussuchen.