Europawahl 2024
Spitzenkandidatin der Grünen "Europa seit meiner Geburt in mir"
Terry Reintke ist eine Politveteranin: Mittlerweile ist sie Listenerste der Grünen für die Europawahl, Fraktionschefin im EU-Parlament - und Kandidatin für die Kommissionspräsidentschaft.
Terry Reintke tritt kämpferisch auf: "Ich habe Riesenbock auf den Wahlkampf mit Euch", ruft sie in die Karlsruher Parteitagshalle, als sie im November vergangenen Jahres mit 95 Prozent der Delegiertenstimmen auf Platz eins der nationalen Liste gesetzt wird.
Seit Februar ist sie auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen, gemeinsam mit dem Niederländer Bas Eickhout.
Seit zehn Jahren im EU-Parlament
Trotz ihrer erst 36 Jahre gehört Reintke bereits zu den erfahrenen Europaabgeordneten. Seit zehn Jahren sitzt sie im Europäischen Parlament, im Oktober 2022 wurde sie sogar eine von zwei Fraktionsvorsitzenden der 72-köpfigen grünen Fraktion.
Sie bezeichnet sich selbst als "Europäerin, Politikerin und Feministin", für die es "Leidenschaft, Beruf und Lebensaufgabe" sei, "Politik für die Menschen in Europa zu machen". "Ich trage Europa seit meiner Geburt in mir", kokettiert die Gelsenkirchenerin gern mit ihrem Geburtsdatum, dem 9. Mai, auf den auch der Europatag fällt.
Der Begriff "Spitzenkandidat" kann verwirrend sein, denn er bedeutet im Kontext der Europawahlen zweierlei:
Einerseits steht er für die Listenersten der deutschen Parteien, die bei der Europawahl antreten. Entsprechend dieser Listen werden die Spitzenkandidaten bei ausreichender Stimmzahl als erste für ihre Partei ins EU-Parlament gewählt.
Andererseits steht der mittlerweile europaweit verwendete Begriff für jene Person, die von den europäischen Parteizusammenschlüssen im Europaparlament als Kandidat oder Kandidatin für den Chefposten der "EU-Regierung", den Präsidentenposten der Kommission, nominiert wurde.
Manche Europapolitikerinnen sind beides: Spitzenkandidatin ihrer deutschen Partei und für die Kommissionspräsidentschaft.
2019 zweitstärkste Kraft
20,5 Prozent holten die Grünen in Deutschland bei der Europawahl 2019, wurden damit hinter der CDU/CSU und deutlich vor der SPD zweitstärkste Kraft in Deutschland. Entsprechend selbstbewusst ging die Partei nach Brüssel und wirkte dort kräftig mit am "Green Deal" der Europäischen Kommission.
"Wenn Sie sich mal anschauen, was die Kommission in den vergangenen viereinhalb Jahren hier so vorgeschlagen und wir dann umgesetzt haben, da ist schon sehr viel vom grünen Wahlprogramm mit dabei", erklärt Reintke Anfang des Jahres im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel.
"Grüne Themen im Zentrum der Debatte"
Aber die Zeiten sind jetzt andere als noch bei der Wahl 2019. Jetzt dominieren Kriege die Debatten, wachsender Rechtspopulismus, das schwierige Verhältnis zu China.
Dass grüne Themen da unter die Räder geraten, glaubt Reintke trotzdem nicht: "So offensichtlich wie 2019 ist es vielleicht nicht, aber wenn man dann einen zweiten Blick macht, dann sieht man: Grüne Themen sind absolut im Zentrum der politischen Debatte." Wie man unabhängiger von Rohstoffen werden könne, das habe mit erneuerbaren Energien, also mit grüner Politik zu tun.
Auch die Frage einer nachhaltigen Landwirtschaft, die gleichzeitig den Bäuerinnen und Bauern ein gutes Auskommen ermöglicht, gehöre dazu. Oft genug aber ist es ohnehin schwer, mit europäischen Themen richtig durchzudringen, das sieht auch Reintke: "Dass das eine Herausforderung ist, das gebe ich zu", sagt sie, und gibt sich auch hier wieder kämpferisch: "Ich nehme die Herausforderung gerne an."
Reintke als Kommissarin?
In die Kritik geriet Reintke zuletzt, als der Fraktionsführung der Grünen im Europaparlament vorgeworfen wurde, nicht hinreichend Me-Too-Vorwürfen in der eigenen Fraktion nachgegangen zu sein. Reintke hat sich dazu nicht geäußert.
Ob sie für sich selbst ein hohes Amt nach der Europawahl sieht, das lässt sie offen. "Ich werde immer sehr genau abwägen, ob das für mich gerade der richtige Schritt ist und ob ich das erfüllen kann, weil ich das ja am Ende des Tages nicht zu meiner eigenen Selbstbespaßung mache, sondern um die Interessen von Europäerinnen und Europäern zu vertreten." Und das werde sie auch in Zukunft sehr ernst nehmen.
Sollte Ursula von der Leyen von der CDU keine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bekommen, dann dürfen die Grünen den nächsten Kommissar, die nächste Kommissarin nach Brüssel schicken, so steht es im Koalitionsvertrag der Ampel. Wenn es so kommt, dann gehört Reintke zu den Top-Anwärterinnen auf einen solchen Top-Job.