Medienvertreter blicken auf einen Bildschirm, auf dem Olaf Scholz und Alice Weidel, in der ARD-Wahlarena zu sehen sind.
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ARD-Wahlarena Aussagen der Kandidaten im Faktencheck

Stand: 18.02.2025 14:49 Uhr

Die Kanzlerkandidaten haben sich in der ARD-Wahlarena vielen Fragen der Bürger gestellt. Ein Großteil der Antworten entsprach den Fakten, einige Aussagen waren jedoch nicht korrekt.

Von Carla Reveland und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

In der ARD-Wahlarena haben die Kanzlerkandidaten der vier größten Parteien Friedrich Merz (CDU), Olaf Scholz (SPD), Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne) nacheinander die Fragen des Publikums beantwortet. Die Fragen drehten sich um diverse Themenkomplexe. Während Merz, Scholz und Habeck nur wenig falsche Aussagen tätigten, lag Weidel an verschiedenen Stellen falsch.

"Sie wissen, wie sie punkten können", Anke Hahn, ARD Berlin, zum Auftritt der Kanzlerkandidaten in der Wahlarena

tagesschau, 18.02.2025 12:00 Uhr

Falsche Aussage über Insolvenzrate

Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland behauptete Weidel, dass Deutschland die höchste Insolvenzrate seit 25 Jahren hat. Das geht aus den Zahlen jedoch nicht hervor. Nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform lag die Insolvenzrate im vergangenen Jahr bei 72 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen. Das ist weit entfernt vom Höchststand aus dem Jahr 2003, als die Insolvenzrate bei 135 je 10.000 Unternehmen lag.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet für das vergangene Jahr insgesamt mit 22.400 Unternehmensinsolvenzen - auch das ist bei weitem kein Höchststand.

Nicht die höchsten Energiepreise in Deutschland

Zudem sagte Weidel, dass Deutschland die höchsten Energiepreise weltweit hat. Auch das ist falsch. Laut Energiedienst Global Petrol Prices (GPP), der regelmäßig Informationen zu nationalen Durchschnittswerten bei Energiepreisen im Einzelhandel veröffentlicht und dadurch globale Vergleichbarkeit herstellt, liegt Deutschland bei keinem der aktuellen Energiepreise auf dem ersten Platz. So liegt Deutschland im Ländervergleich bei den Strompreisen mit Stand Juni 2024 weltweit für Unternehmen auf Platz 15, für Haushalte auf Platz 3. Bei den Preisen für Erdgas landet Deutschland für Unternehmen auf Platz 13, für Haushalte auf Platz 14.

Aktuellere Vergleichswerte mit jeweils Daten vom 10. Februar 2025 lassen sich für die Preise bei Benzin (Platz 19) und Diesel (Platz 21) sowie bei den Heizölpreisen (Platz 19) ermitteln.

Auch eine Preisanalyse des Vergleichsportals Verivox, bei der 147 Länder auf Basis der Daten von Global Petrol Prices zum 1. Quartal 2024 untersucht wurden, widerlegt Weidels These von den teuersten Energiepreisen. So belegt Deutschland bei den Strompreisen Rang 9 und kaufkraftbereinigt sogar nur Platz 21. Berücksichtigt man hier nur die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, so belegt Deutschland allerdings Platz 2 hinter Italien.

Irreführende Aussage über EU-Kommission

Auf die Frage, warum die AfD einen Austritt aus der EU anstrebe, sagte Weidel, dass die Partei das nicht fordert. "Wir sagen, die Entscheidung gehört eigentlich in die nationalen Parlamente, in denen die gewählten Volksvertreter sitzen und nicht irgendeine Kommission, die nicht mal gewählt ist […]."

Tatsächlich findet sich die frühere Forderung nach einem "Dexit", also einem Austritt Deutschlands aus der EU, im Wahlprogramm der AfD nicht mehr. Sie will dafür einen "Bund europäischer Nationen", den sie als eine "neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessensgemeinschaft" bezeichnet.

Weidels Aussage über die EU-Kommission ist jedoch irreführend. Der Präsident der EU-Kommission wird vom Europäischen Rat, also den Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, vorgeschlagen, muss aber vom Europäischen Parlament mit absoluter Mehrheit gewählt werden. Die vom Rat im Einvernehmen mit dem EU-Kommissionspräsidenten vorgeschlagenen Kommissare werden vom Parlament überprüft und in einem einzigen Zustimmungsvotum bestätigt.

Das Europäische Parlament, der Europäische Rat und der Rat der EU setzen sich jeweils aus gewählten Vertretern und Regierungsmitgliedern der EU-Länder zusammen.

Nur wenige Totalverweigerer beim Bürgergeld

Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, sagte zum Thema Bürgergeld, dass diejenigen, die nicht arbeiten, aber arbeiten könnten, unter seiner Ägide in Zukunft kein Bürgergeld mehr bekämen. Das treffe auf etwa 1,8 Millionen Bürgergeldempfänger zu. Allerdings ist das zumindest irreführend.

Zwar stimmt es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA), dass es knapp 1,8 Millionen erwerbsfähige, arbeitslose Bürgergeldempfänger in Deutschland gibt. Das bedeutet, dass diese Menschen zumindest in der Theorie arbeiten gehen können. Jedoch gibt es bei einem Großteil davon laut der BA sogenannte Vermittlungshemmnisse. Das heißt, dass diese Menschen zum Beispiel keine Ausbildung haben, bereits länger arbeitslos, älter als 55 Jahre alt oder schwerbehindert sind.

Nur bei rund 235.000 der erwerbsfähigen Arbeitslosen trifft keines dieser Merkmale zu. Eine BA-Sprecherin wies gegenüber dem Spiegel darauf hin, dass es sich dabei jedoch nicht automatisch um Totalverweigerer handele. So würden zum Beispiel alleinerziehende Eltern als voll vermittelbar gelten, wenn die Kinder älter als drei Jahre seien. Somit betreffe das auch Mütter, die für Vier- oder Fünfjährige keinen Betreuungsplatz haben. Die Zahl der sogenannten Totalverweigerer, die alle Jobangebote oder Weiterbildungen abgelehnt haben, gab die BA für das Jahr 2023 mit rund 16.000 an.

Vergleich von Heizsystemen von vielen Faktoren abhängig

Wirtschaftsminister Robert Habeck sprach in der ARD-Wahlarena unter anderem über die Kosten von verschiedenen Heizsystemen. Er sagte, dass durch die staatliche Förderung der Betrieb von Wärmepumpen nach wenigen Jahren günstiger als eine Gasheizung ist. Das ist prinzipiell nicht falsch, hängt jedoch von vielen verschiedenen Faktoren ab, die dabei berücksichtigt werden müssen - unter anderem der Gebäudetyp, die Entwicklung der Strom- und Gaspreise und die CO2-Steuer.

In der Regel sind Wärmepumpen trotz staatlicher Förderungen in der Anschaffung teurer als Gasheizungen. Allerdings kann das über die Laufzeit einer Heizung durch günstigere Betriebskosten ausgeglichen werden.

Einer Untersuchung des Kopernikus-Projekts Ariadne zufolge ist die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Heiztechniken wesentlich vom CO2-Preis abhängig. Bei den zu erwartenden steigenden CO2-Preisen sei der Einsatz von Wärmepumpen über die Laufzeit gesehen bei Einfamilienhäusern und Bestands-Mehrfamilienhäusern ökonomisch sinnvoll.

Eine Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI) für die Frankfurter Allgemeine Zeitung kam bei der Berechnung für ein bereits saniertes Einfamilienhaus in Nordrhein-Westfalen hingegen zu dem Ergebnis, dass der Einbau einer neuen Gasbrennwertheizung auf die Laufzeit der Heizung gerechnet günstiger als eine Luft-Wärmepumpe ist. Erst für Einbauten ab dem Jahr 2027 ändert sich den Berechnungen zufolge das Verhältnis und die Luft-Wärmepumpe schneidet in der Laufzeitbetrachtung besser ab als die Gasheizung.

Aussagen von Scholz halten Überprüfung stand

Die Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz hielten einer Überprüfung stand. So stimmt es beispielsweise, dass sich Scholz in seiner Zeit als Arbeitsminister (2007-2009) dafür eingesetzt hat, die Löhne in der Pflege durch einen Mindestlohn anzuheben. Eingeführt wurde der Mindestlohn in Pflegeberufen jedoch 2010 unter Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Als Untergrenze galt in den westdeutschen Bundesländern ein Stundenlohn von 8,50 Euro und in Ostdeutschland von 7,50 Euro. Seitdem ist er kontinuierlich gestiegen und liegt aktuell bei 15,50 Euro - ab Juli steigt er auf 16,10 Euro.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 18.02.2025 06:49 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 18. Februar 2025 die tagesschau um 04:39 Uhr und BR24 um 08:00 Uhr.