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Alice Weidel bei "Farbe bekennen" Erneute Falschaussagen zur Wirtschaft
Alice Weidel verbreitet regelmäßig falsche Behauptungen zu Wirtschafts- und Energiethemen. Auch in der ARD-Sendung "Farbe bekennen" traf sie Falschaussagen, um ihre Pläne zur Reduzierung der Strompreise zu erläutern.
Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel äußert sich im aktuellen Wahlkampf immer wieder zu Wirtschafts- und Energiethemen. Häufig sind ihre Aussagen dazu jedoch irreführend oder falsch.
In der ARD-Sendung Farbe bekennen lag der Fokus darauf, wie die AfD-Kanzlerkandidatin Probleme in Deutschland lösen möchte. Ein wesentlicher Punkt Weidels: Die Energiekosten in Deutschland sollen sinken. Die geplante Umsetzung der AfD fußt jedoch auf teils falschen Behauptungen.
Energiepreise hoch, aber nicht die höchsten
Weidel sagte erneut, dass Deutschland die höchsten Energiepreise weltweit habe. Das ist falsch. Zwar sind die Energiekosten hoch, aber nicht die höchsten weltweit. Laut Energiedienst Global Petrol Prices (GPP), der regelmäßig Informationen zu nationalen Durchschnittswerten bei Energiepreisen im Einzelhandel veröffentlicht und dadurch globale Vergleichbarkeit herstellt, liegt Deutschland bei keinem der aktuellen Energiepreise auf dem ersten Platz. So liegt Deutschland im Ländervergleich bei den Strompreisen mit Stand Juni 2024 weltweit für Unternehmen mit 24 Cent pro Kilowattstunde auf Platz 15, für Haushalte mit 36,7 Cent auf Platz 3. Bei den Preisen für Erdgas landet Deutschland für Unternehmen auf Platz 13, für Haushalte auf Platz 14.
Aktuellere Vergleichswerte mit jeweils Daten vom 10. Februar 2025 lassen sich für die Preise bei Benzin (Platz 19) und Diesel (Platz 21) sowie bei den Heizölpreisen (Platz 19) ermitteln.
Auch eine Preisanalyse des Vergleichsportals Verivox, bei der 147 Länder auf Basis der Daten von Global Petrol Prices zum 1. Quartal 2024 untersucht wurden, widerlegt Weidels These von den teuersten Energiepreisen. So belegt Deutschland bei den Strompreisen Rang 9 und kaufkraftbereinigt sogar nur Platz 21.
Berücksichtigt man hier nur die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, so belegt Deutschland allerdings Platz 2 hinter Italien. Auch Daten des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die deutschen Strompreise im Europavergleich hoch sind. So lag Deutschland im ersten Halbjahr 2024 mit 24 Cent pro Kilowattstunde für Nicht-Haushalte mit Kroatien und Ungarn zusammen auf Platz drei und für Haushaltskunden sogar auf Platz eins.
Atomenergie nicht günstig
Auf die Frage, wie die AfD die Strompreise reduzieren möchte, antwortete Weidel, dass die Atomkraftwerke wieder angestellt werden müssten. Wenn das nicht möglich sei, müssten neue Kraftwerke geplant werden. Doch dass ein deutscher Wiedereinstieg der Atomenergie überhaupt zu sinkenden Strompreisen führe, sei ein weit verbreiteter Irrglaube, erläutert Christian Klöppelt vom Fraunhofer-Institut dem SWR.
Betrachtet man die Kosten der Atomenergie über die gesamte Zeitspanne, dann wird diese Form der Energieproduktion teuer und wirtschaftlich uninteressant, denn gerade am Anfang und am Ende des Lebenszyklus eines AKW fallen jeweils hohe Kosten an, erklärt Klöppelt.
Dem pflichtet auch Joe Kaeser, Aufsichtsratschef von Siemens Energy bei. "Es gibt kein einziges Atomkraftwerk auf der Welt, das sich ökonomisch rechnet", sagte er in der ARD-Sendung Maischberger vom 27. November 2024.
Die Finanzierung der Kraftwerke ist meist nur mit staatlichen Garantien und Krediten möglich, da es sich für private Kapitalgeber aufgrund der unkalkulierbaren Risiken nicht rechnet, so auch die Internationale Energie Agentur. In einem Faktencheck des Fraunhofer Instituts zum Thema Atomenergie heißt es: "Beispielsweise müssten für anfallenden Atommüll etwa 2,5 Milliarden Euro Deckungsvorsorge aufgebracht werden. Insgesamt wären beachtliche kurzfristige Investitionen erforderlich."
Rückbau "irreversibel"
Auch lassen sich laut Experten Atomkraftwerke nicht so einfach wieder in Betrieb nehmen. In Deutschland wurden die letzten drei AKW 2023 stillgelegt - 2022 produzierten sie laut Statistischen Bundesamt noch etwa sechs Prozent der Bruttostromerzeugung.
Das Fraunhofer Institut kommt zu dem Schluss, dass theoretisch etwa acht deutsche Atomkraftwerke, deren Rückbau noch nicht zu weit fortgeschritten ist, reaktiviert werden könnten. Dies wäre jedoch mit einem erheblichem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Wissenschaft und Betreiber gingen hier von mindestens ein bis zwei, eher von fünf Jahren aus. Denn um wieder ans Netz zu gehen, brauchen die Kraftwerke Sicherheitsüberprüfungen, gegebenenfalls Modernisierungen, neue Fachkräfte, neue Brennstoffe und einen regulatorischen Rahmen.
Darüber hinaus fehle es an geeignetem Personal sowie der fehlenden Bereitschaft der Betreiber. Denn die deutschen Energieunternehmen halten einen Stopp des Rückbaus für nicht sinnvoll. Jörg Michels, Chef der Atomsparte bei EnBW, nennt den Rückbau ihrer AKW "irreversibel". Weiter sagt er: "Wir glauben nicht, dass der Neubau in Deutschland eine Lösung der Fragen zu heutigen Problemstellungen der Energieversorgung wäre."
Atomkraft nicht CO2-neutral
Darüber hinaus sagte Weidel, dass Atomkraft CO2-neutral sei. Das ist nicht korrekt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz schreibt dazu: "Atomkraft ist weder CO2-frei noch ist sie die CO2-ärmste Art der Energieerzeugung. Denn gerade die energieintensive Brennstofferzeugung ist klimaschädlich."
Auch die Forschergruppe "Scientists for Future" kommt zu demselben Ergebnis: "Unter Berücksichtigung des aktuellen Gesamtenergiesystems ist Kernenergie keineswegs CO2-neutral."
Zwar stoßen Atomkraftwerke beim Prozess der Stromproduktion keine CO2-Emissionen aus, die vor und nachgelagerten Prozesse erzeugen jedoch Treibhausgasemissionen. Laut Agentur für Erneuerbare Energien sind das zum Beispiel der Abbau und Transport des benötigten Urans, die Verarbeitung von Brennelementen oder die Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Da es weltweit jedoch noch keine Erfahrungen mit funktionierenden Endlagern gibt, fallen die Angaben zu den sogenannten CO2-Äquivalenzen unterschiedlich aus.
Wird der gesamte Lebenszyklus sowie Produktionsprozess berücksichtigt, beträgt die Spanne laut Mark Z. Jacobson, Direktor des Atmosphere and Energy Program der Stanford Universität, 68 bis 180 Gramm CO2 pro Kilowattstunde - je nach Strommix bei der Urangewinnung und weiteren Variablen. Der IPCC-Report von 2014 geht von einer Spanne von 3,7 bis 110 Gramm CO2-Äquivalenten pro Kilowattstunde aus.
Atomkraft hat im Vergleich zu anderen fossilen Energiegewinnungsmethoden damit einen eher geringen Ausstoß an CO2-Äquivalenten. Erneuerbare Energien liegen jedoch deutlich darunter. Braunkohlekraftwerke sorgen pro Kilowattstunde für einen Ausstoß von rund 1.150 Gramm CO2-Äquivalenten, Windenergie nach Angaben des Umweltbundesamts für 17,7 Gramm.
Ein Faktencheck der Deutschen Welle kommt zu dem Ergebnis, dass bei Atomenergie 3,5 Mal mehr CO2 pro erzeugter Kilowattstunde freigesetzt wird als bei Photovoltaik-Anlagen - und gegenüber der Wasserkraft sogar 29 Mal mehr.