ARD-DeutschlandTrend Grüner wird's nicht - oder?
Die Grünen sind weiter die Partei der Stunde: Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend erreichen sie mit 22 Prozent ein neues Allzeithoch. Selbst bei Besserverdienenden haben sie inzwischen ein positives Image. Die Regierung profitiert dagegen nicht vom Wachstum und bleibt mäßig beliebt - anders als der Verteidigungsminister.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Die Wirtschaftslage in Deutschland hat sich in den letzten zwei Monaten dramatisch verbessert. Nach dem Empfinden der meisten Befragten ist die Wirtschaftskrise vorbei, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Steuereinnahmen steigen - und trotzdem hat sich an den politischen Trends der letzten Monate nichts geändert, im Gegenteil.
Während die Bundesregierung meilenweit von einer Umfragemehrheit entfernt ist, setzen die Grünen ihren Höhenflug fort. Zum siebten Mal in diesem Jahr vermeldet der ARD-DeutschlandTrend ein Allzeithoch für die Partei. Unter 1500 Befragten kommen die Grünen in dieser ersten Novemberwoche nun auf 22 Prozent in der Sonntagsfrage (+2 gegenüber dem Vormonat). Zusammen mit 27 Prozent (+/- 0) für die SPD hätte Rot-Grün also, falls am nächsten Sonntag tatsächlich gewählt würde, eine klare Mehrheit. Derweil verharren CDU/CSU unverändert bei 32 Prozent, die FDP unverändert bei fünf Prozent. Die Linke büßt gegenüber dem Vormonat zwei Punkte ein und hat nun neun Prozent.
Partei der Babyboomer, Akademiker - und Besserverdiener
Immer klarer kristallisiert sich heraus, welche Gruppen die Grünen für sich entdeckt haben. In der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen sind die Grünen jetzt die stärkste Partei (31 Prozent). Dahinter verbirgt sich nicht nur die zahlenmäßig starke Gruppe der Babyboomer. Es sind auch genau jene Jahrgänge, die beruflich etabliert in vielen Unternehmen und Behörden den Ton angeben.
Ebenfalls stärkste Partei sind die Grünen in der Gruppe mit hohen Bildungsabschlüssen, also mit Abitur oder Fachhochschulreife. Hier kommen sie sogar auf satte 36 Prozent. Und die Grünen sind die neue Partei der Besserverdienenden: In der Gruppe mit einem Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 3000 Euro im Monat kommen sie auf 29 Prozent.
Dieses Hoch ist nicht nur thematisch zu erklären. Über Jahre hatte sich die Partei weit über ihren eigenen Wählerkreis hinaus ein positives Image aufgebaut. Vor der letzten Bundestagswahl etwa erklärten 75 Prozent der Befragten, "Starke Grüne sind wichtig als Gegengewicht gegen die großen Parteien". Viele von denen, die das damals so gesehen haben, wären jetzt offenbar bereit, die Grünen zu wählen.
Nur ein "Ausreichend" für Schwarz-Gelb
Dass die Bundesregierung von dem Aufschwung überhaupt nicht profitiert, ist ebenfalls eine Überraschung. Die Bilanz nach einem Jahr Schwarz-Gelb fällt bei den Befragten exakt genau so aus wie die Bilanz nach 100 Tagen. In Schulnoten ausgedrückt bekommt die Regierung durchschnittlich eine Note 3,9. Das liegt auf dem Zeugnis irgendwo zwischen 4 und 4+.
Für diese mäßige Benotung trotz bester Wirtschaftszahlen liefert der DeutschlandTrend auch Erklärungen. Vor allem am von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gefeierten Rückgang der Arbeitslosigkeit unter drei Millionen hat die jetzige Regierung nach Einschätzung der meisten Befragten nämlich nur geringen Anteil. Ganz vorne genannt werden die deutschen Unternehmen - ihnen messen 67 Prozent großen Anteil an der Entwicklung zu. 58 Prozent sehen die Entwicklung der Weltwirtschaft als wesentlich verantwortlich.
Dann erst folgt die Politik: 42 Prozent nennen die Vorgängerregierung aus Union und SPD, je 38 Prozent die Regierung Schröder mit ihrer Agenda 2010 und die jetzige Bundesregierung aus Union und FDP. Aus diesen Zahlen lässt sich kein politischer Bonus ableiten.
Klare Mehrheit für Schuldenabbau
Dies gilt auch für die märchenhaften Zahlen der neuen Steuerschätzung: Die Deutschen erwarten in großer Mehrheit keinen Geldsegen aus dem Steuertopf. Wenn es tatsächlich zu den vermuteten Steuermehreinahmen in zweistelliger Milliardenhöhe kommen sollte, entscheidet sich im ARD-DeutschlandTrend die Mehrheit der Befragten klar für eine von drei vorgegebenen Alternativen. 57 Prozent wünschen, dass das Geld genutzt wird, um Schulden abzubauen. 18 Prozent meinen, die Mittel sollten genutzt werden, um wichtige staatliche Aufgaben zu erfüllen. Und nur knapp ein Viertel der Befragten, 23 Prozent, plädiert für Steuersenkungen - auf den ersten Blick ein überraschendes Ergebnis.
Allerdings hält nur knapp die Hälfte der Befragten, nämlich 43 Prozent, die Steuerbelastung für generell zu hoch. 45 Prozent bezeichnen ihre persönliche Belastung als angemessen, ein Prozent findet sie zu niedrig. Die geringste Last empfinden die Menschen mit dem höchstem Einkommen. In der Einkommensgruppe mit mehr als 3000 € Haushaltsnettoeinkommen im Monat ist der Wunsch nach Steuersenkungen am geringsten.
Je reicher, desto mehr vom Aufschwung
Noch etwas fällt auf: Auf der einen Seite ist die deutlich verbesserte Wirtschaftslage für die Befragten völlig unstrittig. Erstmals seit zweieinhalb Jahren nennt eine Mehrheit von 61 Prozent die gegenwärtige wirtschaftliche Lage "gut" und nur eine Minderheit von 38 Prozent "schlecht". Noch im September war das Verhältnis beinahe umgekehrt. Bei der Frage, wem das neue Wachstum zugute kommt, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Nur 29 Prozent erklären, sie selbst profitierten vom Aufschwung. 71 Prozent haben nicht das Gefühl. Auch im letzten Aufschwung zwischen Herbst 2006 und Frühjahr 2008 schwankten bei dieser Frage die positiven Antwortwerte zwischen 20 und 30 Prozent. Das Bild ist also nicht neu.
Aber es sind wie damals die gleichen Gruppen, denen es besser geht, und die gleichen Gruppen, die vergeblich auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation warten. So erklären etwa 54 Prozent der Selbstständigen und Freiberufler, dass sie den Aufschwung persönlich spürten. Bei Arbeitern und Rentnern hingegen sind die Werte deutlich unterdurchschnittlich. Generell gilt: Je höher das Einkommen, desto größer auch der persönliche Vorteil. Und genau dieses Missverhältnis sorgt vermutlich für schlechte Stimmung gegenüber der Bundesregierung.
Denn gemessen an den Erwartungen vor einem Jahr bei Regierungsantritt haben Angela Merkel und ihre Mannschaft den Job in Sachen Wirtschaftswachstum erfüllt. Sie haben die Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise gut bewältigt und Arbeitsplätze gesichert - das attestiert die Mehrheit der Befragten. Die größten Defizite sehen sie aber in puncto soziale Gerechtigkeit. In diesem Punkt waren die Erwartungen an Schwarz-Gelb ohnehin nicht sehr hoch und sie sind trotzdem bei weitem nicht erfüllt worden.
Das Glück zu Guttenbergs
Vielleicht ist es ja das Glück des Karl-Theodor zu Guttenberg, dass er das Wirtschaftsressort rechtzeitig abgegeben hat und ins Verteidigungsministerium gewechselt ist. So kann er für die gefühlte Ungerechtigkeit nicht verantwortlich gemacht werden. In diesem Monat klettert er auf der Zustimmungsskala erneut um einen Punkt auf 75 Prozent, damit ist er nicht nur Spitzenreiter, sondern stellt auch erneut seinen persönlichen Rekord ein. Ihm folgt jetzt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, 61 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden.
Mit deutlichem Abstand folgen dann Finanzminister Wolfgang Schäuble (52 Prozent), Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (51 Prozent), der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (51 Prozent), Grünen-Fraktionschefin Renate Künast (49 Prozent) und dann erst Kanzlerin Angela Merkel (41 Prozent).
Die Enttäuschung über die Kanzlerin und die Entzückung über den Verteidigungsminister kommen in einem weiteren Ergebnis des DeutschlandTrends zum Ausdruck. 58 Prozent der Befragten wünschen sich, dass die Union bei der Bundestagswahl 2013 zu Guttenberg als Kandidaten für das Kanzleramt ins Rennen schickt, nur 28 Prozent setzen aus heutiger Sicht auf Angela Merkel. Und selbst im eigenen Lager, also unter den CDU/CSU-Anhängern kommt Guttenberg auf eine knappe Mehrheit (51 Prozent gegenüber 46 Prozent für Merkel).
Terrorismus lässt Deutsche kalt
Bleibt noch eine Fußnote am Ende einer Woche, in der Sprengstofffunde in der Luftfracht und Paketbomben im Kanzleramt für Schlagzeilen gesorgt haben. Die deutsche Bevölkerung bringt das nicht aus der Ruhe. 83 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich alles in allem in Deutschland eher sicher fühlen, 17 Prozent fühlen sich unsicher. 72 Prozent halten das Land für "gut geschützt gegen terroristische Angriffe" und trotzdem sollte die Politik die Hände nicht in den Schoß legen: Immerhin 71 Prozent sind doch der Ansicht, "es müsse mehr getan werden, um weitere Sicherheitslücken zu entdecken".
Dennoch: Ein Wahlkampfschlager bei den im nächsten Jahr anstehenden sechs Landtagswahlen dürfte das Thema innere Sicherheit aus heutiger Sicht kaum werden.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1007 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. bis 03. November 2010
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte