Häusliche Gewalt Warum Frauen mit Behinderung besonders gefährdet sind
Die Zahl der erfassten Opfer häuslicher Gewalt ist in Deutschland zuletzt wieder angestiegen. Die meisten von ihnen sind weiblich. Besonders betroffen und oft übersehen: Frauen mit Behinderung.
133 grell-orangefarbene Paar Schuhe stehen im Landratsamt in Würzburg, ein Paar für jede Frau, die 2022 durch Partnerschaftsgewalt getötet worden ist. Carmen Wallrapp, Gleichstellungsbeauftrage des Landkreises Würzburg, sagt: "133 Paar Schuhe - weil Frauen falsche Partner gewählt haben oder wählen mussten. 133 getötete Frauen, das muss sich ändern."
Neben den Schuhen stehen orangefarbene Rollstühle, die Gleichstellungsbeauftragte macht mit dem Aktionstag zum 25. November besonders auf Gewalt an Frauen mit Behinderung aufmerksam. Diese kämen laut Wallrapp in der öffentlichen Diskussion kaum vor, wenn es um das Thema gehe. Eine von ihnen ist die 34-jährige Emel (Name geändert) aus dem Landkreis Würzburg. Mehr als fünf Jahre wird sie von ihrem Mann erniedrigt und geschlagen, auch während ihrer Schwangerschaften.
Emel hat eine psychische Behinderung. Erst mithilfe ihrer Betreuerin gelingt es ihr, sich über ihre Rechte zu informieren. Sie reicht schlussendlich die Scheidung ein. Heute sagt die 34-Jährige: "Es war schwer, mich zu wehren, weil ich vieles nicht wusste, etwa, welche Rechte ich habe. Mein Mann hat Gesetze erfunden, die es nicht gab. Hätte ich früher mehr gewusst, hätte ich mich wehren können. Aber mein Mann hat das ausgenutzt und mich abhängig gemacht."
Carmen Wallrapp, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Würzburg, hat eine der deutschlandweit stattfindenden Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen organisiert.
Jede zweite Frau mit Behinderung erlebt sexualisierte Gewalt
Über 240.500 Opfer häuslicher Gewalt sind 2022 in Deutschland erfasst worden - 8,5 Prozent mehr als 2021. Im vergangenen Jahr waren die Opfer häuslicher Gewalt zu über 70 Prozent weiblich, die Tatverdächtigen waren laut dem im Juli veröffentlichten Lagebild des Bundesinnenministeriums zu 76 Prozent männlich. Wie viele der Opfer eine Behinderung haben, wird von der Polizei nicht erfasst.
Studien zeigen aber, dass Frauen mit Behinderung stärker gefährdet sind, Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden. Zwei- bis dreimal höher ist diese Gefahr laut Martina Puschke, Leiterin der Politischen Interessenvertretung behinderter Frauen im Weibernetz e.V. Die Pädagogin und Lobbyistin behinderter Frauen sagt, dass jede zweite Frau mit Behinderung sexualisierte Gewalt erlebt.
Die Gründe hierfür seien vielschichtig, meint Puschke. "Zum einen nutzen Täter ihre Macht aus, wenn Frauen mit Behinderung Hilfe benötigen, sei es im Fahrdienst, auf dem Weg zur Arbeit, in Wohneinrichtungen, in Pflegesituationen oder bei ärztlichen Untersuchungen. Sie nutzen die personelle Abhängigkeit in einer Situation aus. Auch gehen viele davon aus, dass die Frau nichts sagen wird oder ihr nicht geglaubt wird, wenn sie etwas erzählt."
Frau mit Behinderung: spezielle Diskriminierungsform
Die Wissenschaft bezeichnet das Phänomen, wenn Diskriminierungsformen zusammenwirken, als Intersektionalität. Laut Katharina Walgenbach, Professorin für Bildung und Differenz, gehe es aus einer intersektionalen Perspektive darum, dass Geschlecht und Behinderung in ihrem gleichzeitigen Auftreten spezifische Formen von Diskriminierung hervorbringen.
Puschke fordert deshalb, Mädchen und Frauen mit Behinderung unabhängig von ihrem Wohnort zu stärken und durch barrierefreie Aufklärungsmaterialien über Gewalt und ihre Rechte, sich zu wehren, aufzuklären. Außerdem müssten Frauenberatungsstellen finanziell so ausgestattet sein, dass sie gezielt Frauen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen unterstützen können, sowie Frauenhäuser barrierefrei werden.
Kaum barrierefreie Frauenhausplätze
6.800 Frauenhausplätze gibt es in Deutschland. Sucht man aktuell bei der bundesweiten Frauenhaus-Suche nach einem Platz, findet man in ganz Deutschland 29 freie Plätze. Noch schwieriger ist es für Frauen mit Behinderung: Für Frauen mit Gehbehinderung gibt es bundesweit 80 Frauenhausplätze, zehn davon sind momentan frei. Für Frauen mit Sehbehinderung gibt es zwölf Plätze, zwei davon sind frei.
Emel hat es mithilfe ihrer Betreuerin ohne die Unterstützung durch ein Frauenhaus geschafft. Sie weiß aber, dass auch sie zu einem der orangefarbenen Paar Schuhe hätte gehören können. Besonders durch ihre Behinderung. Sie rät anderen Betroffenen: "Seid mutig, informiert euch über eure Rechte, bildet euch! Frauen könne sich aus Gewaltsituationen befreien."