Einsatzkräfte der Polizei sind bei einem Vorfall auf dem Mannheimer Marktplatz im Einsatz.

Mordanklage gegen Sulaiman A. Messerangreifer von Mannheim steht vor Gericht

Stand: 13.02.2025 05:48 Uhr

Ende Mai 2024 griff Sulaiman A. in Mannheim eine Kundgebung an. Mehrere Menschen wurden schwer verletzt, ein Polizist starb zwei Tage später. Nun beginnt der Prozess.

Von Michael Götschenberg, ARD-Hauptstadtstudio, Holger Schmidt, SWR, ARD-Terrorismusexperten

Die Stadt Mannheim ist besonders stolz darauf, wie viele unterschiedliche Menschen hier friedlich zusammenleben. Auf brutale Weise wurde dieser Frieden am 31. Mai 2024 durch einen Messerangriff auf dem Marktplatz gestört. Doch die Minuten und Tage nach der Tat zeigten auch, wie die Stadt zusammensteht. Der Täter gibt hingegen Rätsel auf.

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tagesschau24, 13.02.2025 09:00 Uhr

Im Flur des Mehrfamilienhauses von Sulaiman A. gibt es eine Videoüberwachung. Der Afghane lebte bis zur Tat im südhessischen Heppenheim im Landkreis Bergstraße. Die Wohnung gehört seinem türkischen Schwiegervater. Seine Frau und die beiden gemeinsamen Kinder haben die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Noch am Vorabend ist A. auf den Bildern der Kamera zu sehen.

Doch am 31. Mai zeichnet die Kamera kein Bild mehr von ihm auf. Deshalb ist nicht klar, wann er das Haus, möglicherweise durch den Hinterausgang, verlassen hat. Fest steht nur, dass er wohl mit dem Zug von Heppenheim nach Mannheim gefahren ist. Das Tagesticket in seiner Brusttasche trägt den Zeitstempel 09:59 Uhr. Ein Video aus dem Zug existiert nicht mehr - bei der Bahn wurde es nicht schnell genug gesichert.

Vorbereitungen auf geplante Kundgebung

Ermittler rekonstruierten trotzdem den Weg zum Tatort. Dort taucht er auf einem Livestream auf, mit dem die geplante Kundgebung der islamkritischen "Bürgerbewegung Pax Europa" (BPE) ins Internet übertragen werden soll. Die BPE bereitet die Kundgebung vor. Plakate werden aufgestellt, Infomaterialien bereitgelegt. Hauptredner soll Michael Stürzenberger sein, ein früherer Politiker und Journalist, das wohl bekannteste Gesicht der BPE.

Auch Konrad Schneider aus dem badischen Ortenau-Kreis ist dabei. Er ist als Ordner für die Kundgebung eingeteilt, eine Aufgabe, die er schon oft bei BPE-Kundgebungen hatte, wie er dem SWR erzählt. Seine jugendliche Tochter schaut zu Hause den Livestream. 

Kurz vor dem Anschlag läuft Jony L. über den Marktplatz. Er möchte seinen Anzug zu einem Änderungsschneider bringen. Der aramäische Iraker bereitet sich so auf eine nahe Kommunion in seiner Familie vor. Michael Stürzenberger kennt er aus dem Internet und spricht ihn an. Stürzenberger habe ein Selfie-Video mit ihm machen wollen, sagt L. zum SWR, doch er habe Sorge vor der Reaktion von Muslimen in seinem Umfeld gehabt. L. verspricht aber, nach seiner Erledigung wieder zur Kundgebung zu kommen. 

Vorbereitung auf den Einsatz

Am Rande des Marktplatzes stehen einige Polizisten der Einsatzhundertschaft des Polizeipräsidiums Mannheim. Sie sollen die Veranstaltung begleiten und für Sicherheit sorgen. Schon früher kam es zu Vorfällen, wenn die BPE öffentlich auftritt. Vor Ort hat Polizeihauptkommissar Rouven Laur das Kommando. 

An den Marktplatz grenzt unter anderem das Städtische Gesundheitsamt. Es sind milde Temperaturen, einige Fenster stehen schräg.

Dann passiert scheinbar alles gleichzeitig. Es gibt zahlreiche Zeugenaussagen, vor allem aber mindestens zwei Videos der Ereignisse: Sulaiman A. rennt auf Michael Stürzenberger zu. Jemand schreit eine Warnung, Konrad Schneider und Jony L., der gerade wieder am Marktplatz angekommen ist, versuchen, den Angreifer zu überwältigen.

Schneider bekommt mehrere Stiche ins Bein, seine Verletzungen sind lebensbedrohlich. Jony L. gelingt es, die rechte Hand des Angreifers mit dem Messer zu packen. Ein weiterer Mann, der Passant Torsten K., kommt hinzu. Auch er will helfen - und hält wohl Jony L. für den Angreifer. Er schlägt auf ihn ein. In diesem Getümmel kann sich Sulaiman A. befreien. 

Inzwischen sind die Polizisten der Einsatzhundertschaft herbeigelaufen und versuchen, alle zu Boden zu bringen. Rouven Laur packt Torsten K. und kniet auf ihm. In diesem Augenblick sticht Sulaiman A. auf den Kopfbereich des Polizisten. Ein anderer Polizist schießt A. nieder. Torsten K. gelingt es, das Messer von A. weg in Richtung weiterer Polizisten zu schleudern.

Mitarbeiter der Spurensicherung stehen auf dem Marktplatz hinter einem zertrümmerten Stand in Mannheim

Mitarbeiter der Spurensicherung stehen auf dem Mannheimer Marktplatz hinter einem zertrümmerten Stand.

Ärzte sind sofort zur Stelle

Rouven Laur erhebt sich und fasst an seinen Hals. Kollegen eilen ihm zu Hilfe - und auch mehrere Ärzte aus dem Gesundheitsamt sind sofort zur Stelle. Sie haben die Schreie und den Schuss gehört und teilen sich auf. Am schwersten sind Rouven Laur, Michael Stürzenberger, Konrad Schneider und der Attentäter verletzt. Auch Jony L. und zwei weitere Personen bluten stark.  

Doch die schnelle medizinische Versorgung kann das Leben von Rouven Laur nicht retten. Er kommt schwer verletzt in die Universitätsklinik Mannheim und stirbt dort zwei Tage später.

In den ersten Stunden gilt auch Konrad Schneider als so schwer verletzt, dass mit seinem Tod gerechnet werden muss. Zwei Polizisten seien zu seiner von ihm getrennt lebenden Frau gefahren, um sie über den Ernst der Situation zu informieren, erzählt er dem SWR. Was die Beamten aber nicht gesehen hätten: Seine Tochter, die schon im Livestream die Attacke gesehen habe, steht hinter der Tür und hört, dass ihr Vater wohl sterben wird.

Doch Konrad Schneider überlebt "um Haaresbreite", wie es ein Arzt formuliert. Und zwar, so betont der Arzt, "wegen eines exzellenten Kollegen in der Notaufnahme, der aus Saudi-Arabien stammt".

Anklage wegen Mordes erhoben

Warum hat Sulaiman A. all dieses Leid angerichtet? Diese Frage muss der Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart klären. Der Generalbundesanwalt hat Anklage unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes erhoben. Eine Tat zu Gunsten einer Terrororganisation konnten die Ermittler bislang nicht feststellen. Möglicherweise auch deshalb, weil im Handy von A. keine SIM-Karte gefunden werden konnte.

Auch Sulaiman A. schwebte in Lebensgefahr. Der erste Haftbefehl gegen ihn wurde ihm im Krankenhaus verkündet, auch die Verkündung eines zweiten Haftbefehls durch den Bundesgerichtshof findet im Krankenhaus statt. Anwesend sind eine Ermittlungsrichterin, eine Vertreterin der Bundesanwaltschaft und sein Rechtsanwalt Mehmet Okur aus Darmstadt. Sulaiman A. liegt ohne Bewusstsein einige Zimmer weiter auf der Intensivstation.

Mehr als acht Monate nach tödlichem Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim beginnt der Prozess

Fabian Siegel, SWR, Morgenmagazin, 13.02.2025 05:30 Uhr

Auch um seine Gesundheit wird es im Prozess gehen. Seine Ehefrau hat am Abend der Tat der Polizei gesagt, ihr Mann habe sich erst kürzlich am Kopf untersuchen lassen. Einen Befund zu dieser angeblichen Untersuchung kennen die Ermittler allerdings derzeit nicht. 

Holger Schmidt, SWR, tagesschau, 13.02.2025 06:10 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 13. Februar 2025 um 07:30 Uhr.