Koalition in Sachsen-Anhalt Der Unsicherheitsfaktor
Die Koalition aus CDU, SPD und FDP in Sachsen-Anhalt scheitert wiederholt an einer wichtigen Personalie. Das Misstrauen innerhalb von Haseloffs Koalition ist groß - auch wegen der AfD.
Der eine blickte versteinert geradeaus, der andere haute auf den Tisch. Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff und "sein" Fraktionschef Guido Heuer zeigten den Unmut über das Abstimmungsergebnis auf jeweils ihre Weise. Der Kandidat für das Amt des Landesdatenschutzbeauftragten war am Mittwoch auch im dritten Wahlgang durchgefallen. Es fehlte eine Stimme. Die Koalition von CDU, SPD und FDP war an der Personalie wieder einmal gescheitert.
Reiner Haseloff kennt das. Der CDU-Politiker ist der am längsten amtierende Regierungschef Deutschlands. Doch in seiner Amtszeit gelang es noch nie, einen Datenschutzbeauftragten für Sachsen-Anhalt zu wählen. Versuche gab es mehrere. Erst scheiterte ab 2018 die schwarz-rot-grüne "Kenia"-Koalition, nun das selbsternannte "Deutschland"-Bündnis.
Wiedermal Frust im Landtag
Neue Kandidaten traten an. Man senkte das Quorum für die Wahl, änderte schließlich sogar das Verfahren. Den jetzigen Kandidaten, einen Rechtsanwalt aus Halle, hatte CDU-Fraktionschef Heuer selbst vorgeschlagen.
Fast vier Stunden dauerten am Mittwoch die drei geheimen Wahlgänge samt Unterbrechungen. Haseloff ist auch Abgeordneter. Er hatte laut Teilnehmern in Fraktionssitzungen sowohl vor der Wahl als auch zwischen den Wahlgängen an das Verantwortungsbewusstsein appelliert. CDU-Landeschef Sven Schulze und Heuer sollen es ihm gleich getan haben. Zuletzt saßen alle drei Koalitionsfraktionen zusammen. Genützt hat es nicht.
CDU, SPD und FDP stellen gemeinsam 56 von 97 Abgeordneten im Magdeburger Landtag. Vier waren in dieser Sitzung abwesend. Mindestens vier weitere versagte dem Kandidaten ihre Zustimmung. Weil die Wahl geheim war, lässt sich nicht genau sagen, wer dem Kandidaten - und damit der eigenen Fraktionsführung - die Stimme verweigert hat.
Viele Abgeordnete vermuteten die Abweichler in der CDU, darunter auch Fraktionskollegen. Einige CDUler wollen wiederum verräterische Zeichen und persönliche Motive bei SPD und FDP ausgemacht haben. Bislang jedenfalls kam niemand aus der Deckung. Der ehemalige Landtagspräsident Detlef Gürth, ein CDU-Mann, konstatierte: "Die Koalition hat keine Mehrheit." Neuwahlen wären konsequent.
Dabei läuft Deutschlands erstes schwarz-rot-gelbes Bündnis seit den 1950er-Jahren eigentlich ganz gut. Fraktionsspitzen und Regierung betonen stets, Streit werde konstruktiv und intern gelöst, nicht nach außen getragen. Die Ansiedlung des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg ist zudem die größte Einzelinvestition der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auch dank der Landesregierung.
Keine schlechte Zwischenbilanz, wäre da nicht die Blamage um die Wahl eines Datenschutzbeauftragten. Und eine neue Umfrage, die CDU und AfD fast gleichauf in dem Bundesland sieht.
Hilfe ausgeschlagen
Die Nerven lagen blank nach der erneut missglückten Wahl. Eine erboste CDU-Abgeordnete rief einem Grünen zu, diese hätten doch "für das Land" mitstimmen müssen. Auch der Linksfraktion wurden Spielchen vorgeworfen, nachdem einige Abgeordnete erst für, dann gegen den Bewerber gestimmt haben wollen. Überprüfen lässt sich das nicht. Es beantwortet auch nicht die Frage, warum die Koalition keine Mehrheit hatte.
Eilige Vermittlungsangebote der Grünen noch im Plenarsaal, im Gegenzug für eine Stärkung der Datenschutzstelle den Koalitionskandidaten doch zu wählen, hatte die CDU-Fraktionsspitze ausgeschlagen. Haseloff hingegen soll dem Vernehmen nach dafür offen gewesen sein.
Wie stabil ist Haseloffs Koalition?
Auf Nachfrage wollte Haseloff die Lage nicht kommentieren. Verantwortlich sei "der Gesetzgeber", also der Landtag, sagte er zwischen den Wahlgängen. Noch am selben Abend muss er sich fragen, wie stabil seine Koalition ist.
Zwar hat sich bislang niemand getraut, bei offenen Gesetzesabstimmungen auszuscheren. Dennoch bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Schon in der vergangenen Wahlperiode stimmten einige CDUler vereinzelt mit der AfD. Manche sitzen heute noch im Landtag. 2020 konnte Haseloff den Streit um höhere Rundfunkbeiträge nur mit einem gewagten Manöver beilegen: Er entließ seinen Innenminister und zog die Abstimmung zurück. Zudem brauchte er sowohl 2016 und 2021 zwei Wahlgänge, um als Ministerpräsident gewählt zu werden.
Möglich, dass daran einzelne SPDler oder FDPler beteiligt waren. Die CDU-Fraktion befindet sich aber im Selbstbeschäftigungsmodus. Fraktionsvize Frank Bommersbach steht für seine Amtsführung in der Kritik. Er soll zudem vertrauliche Gespräche mit der in Teilen rechtsextremen AfD-Fraktion geführt haben. Bommersbach selbst und Fraktionschef Heuer bestreiten das. Nach Mittwoch sind jedenfalls beide angeschlagen. Dabei ist Heuer noch kein Jahr im Amt.
Nur AfD-Eklat bleibt aus
Ironischerweise hätte es noch schlimmer kommen können. Die AfD-Fraktion hatte nach tagesschau.de-Informationen schon vor Wochen einen Beschluss gefasst: Gibt es ein Signal aus der CDU, diesmal einen AfD-Kandidaten für das Amt des Landtagsvizepräsidenten teilweise mitzutragen, dann würden einige der insgesamt 23 Abgeordneten für den CDU-Datenschützer stimmen.
Beide Wahlen standen am Mittwoch direkt nacheinander an. Seit 2021 hatte es die AfD in mehr als einem Dutzend Anläufen nicht geschafft, ihre Kandidaten durchzubekommen. Das CDU-Signal kam aber offenbar nie.
Die AfD-Fraktion ließ dennoch die Gelegenheit verstreichen, die Koalition bloßzustellen: In einem zweiten oder dritten Wahlgang hätte die AfD sich plötzlich staatstragend geben können und die Mehrheit sichern können. So wie es ihre Berliner-AfD-Kollegen bei der Wahl des Berliner Bürgermeisters Kai Wegner behaupteten, getan zu haben. CDU, SPD und FDP waren auf diesen Fall, so erzählten es mehrere Abgeordnete, nicht vorbereitet.
Vertreter der Koalition haben Gespräche über das weitere Vorgehen angekündigt. Bislang sind die noch nicht angesetzt.
Der AfD-Kandidat für das Vizepräsidentenamt fiel erneut durch. Aus Fraktionskreisen hieß es, man überlege nun, die Namen weiterer CDU-Abgeordneten zu lancieren, die in der Vergangenheit Gespräche mit der AfD geführt hätten.