Ein Wähler sitzt für die Stimmabgabe zur Landtagswahl in Sachsen in einer Sporthalle in einer Wahlkabine.
interview

Wahlerfolge der AfD "Das verfängt bei jungen Männern"

Stand: 26.09.2024 08:28 Uhr

Die AfD hat deutlich in jüngeren Wählergruppen dazugewonnen. Was sind die Gründe? Krisen spielen eine zentrale Rolle, sagt Erziehungswissenschaftler Frank Greuel. Und Bilder einer starken, harten Männlichkeit.

tagesschau.de: Bei den vergangenen Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern konnte die AfD deutlich in jungen Altersgruppen zulegen. Wie ist das Verhältnis junger Menschen aktuell zur Politik in Deutschland?

Frank Greuel: Es hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Es war lange Zeit so, dass junge Menschen eher progressive Parteien gewählt haben. Wir haben eine überproportional hohe Zustimmung zu Parteien wie den Grünen oder zur Linken gesehen. Dann gab es eine Art Zwischenphase, in der weiterhin beispielsweise die Grünen ganz hoch in der Gunst der jungen Menschen waren und gleichzeitig aber die AfD stärker wurde.

Inzwischen überragt die AfD-Zustimmung alle anderen. Die Progressivität in der Wahlentscheidung ist nicht mehr wirklich zu sehen. Das ist auch keine Entwicklung, die spezifisch für Ostdeutschland gilt. Sondern man hat auch bei den Europawahlen gesehen, dass die AfD-Zustimmung sehr stark ist.

Frank Greuel
Zur Person
Frank Greuel ist Erziehungswissenschaftler und forscht am Deutschen Jugendinstitut, einem der größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Europas. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören unter anderem Radikalisierung im Jugendalter und Politische Sozialisation.

tagesschau.de: Welche Faktoren spielen bei der Wahlentscheidung eine Rolle?

Greuel: Wir leben in einer Zeit, die sehr krisenhaft ist. Es gibt weltweit Kriege und Konflikte, die sich verschärfen. Es gibt eine ökonomische Krise, auch eine ökologische Krise. Und das ist für junge Menschen besonders schwerwiegend. Sie fangen an, ihr Leben zu planen und haben eine Sensibilität gegenüber Krisen und eine Sensibilität gegenüber dem, was ihnen vielleicht genommen wird oder wo sie ein hohes Risiko dafür sehen. Sie sind besonders betroffen.

Das zeigt sich auch in Umfragen: 80 Prozent der Jugendlichen sind sehr pessimistisch, was die Zukunft Deutschlands angeht. Es gibt Abstiegsängste und viel mehr noch die Angst vor mangelnden Aufstiegschancen.

Wahlergebnisse bei jungen Menschen
Bei den 16- bis 24-Jährigen in Brandenburg hat die AfD 13 Prozentpunkte zugelegt. In Thüringen, wo erst ab 18 Jahren gewählt werden darf, legte die Partei um 15 Prozentpunkte zu und landete bei 38 Prozent. Ein Bestwert im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen. In Sachsen gab es ein Plus von elf Prozentpunkten - keine Partei machte in dieser Altersgruppe einen größeren Sprung nach vorne.

"Ein großes und einfaches Versprechen"

tagesschau.de: Was macht die AfD für junge Menschen in dieser Situation wählbar?

Greuel: Die AfD bietet in dieser Krisenhaftigkeit einfache und schnelle Lösungen. Ein Teil der Krisen, die existieren, wird komplett geleugnet. Stichwort: Klimakrise. Dieses Problem löst die AfD gewissermaßen, indem sie es gar nicht als Problem anerkennt. Und das ist natürlich entlastend für diejenigen, die ihre eigene Zukunft gefährdet sehen.

Sie fokussiert sich bei sämtlichen Problemen auf Migration als Auslöser und konstruiert einen starken Zusammenhang. Die Begrenzung von Migration und Restriktionen gegenüber Migrationsbewegungen werden dann zur Globallösung gemacht. Das ist ein großes und einfaches Versprechen, was die AfD abgibt.

Beim Blick auf die Zahlen sieht man auch deutlich, dass sie mehrheitlich von jungen Männern gewählt wird. Sie knüpft in ihrer Ansprache an traditionelle Geschlechterrollen an - mit maskulinen Bildern von einer starken, harten Männlichkeit. Und das verfängt bei jungen Männern in einer Zeit, in der sie selbst damit beschäftigt sind, wer sie als Mann sein wollen.

tagesschau.de: Wie erreicht die AfD mit ihrer Ansprache die Jugend?

Greuel: Die AfD-Präsenz etwa auf TikTok geht weit über das hinaus, was etablierte Parteien an der Stelle bieten. Und die AfD ist tatsächlich eine Partei, die Jugendliche direkt anspricht und ihnen das Gefühl vermittelt, sie ernst zu nehmen und für sie da zu sein. Allein diese Form der Anerkennung macht viel aus.

Inzwischen ist es so, dass die meisten Jugendlichen sich auf TikTok über Politik informieren - auch das belegen Studien. Das ist ein echtes Problem, wenn solche Parteien dort so präsent sind, ihre Form der Weltdeutung verbreiten können und es keine wirklichen Alternativangebote von etablierten Parteien oder auch von etablierten Medien gibt. Die AfD hat im Moment ein gewisses Monopol.

"Es ist eine Inszenierung von Harmlosigkeit"

tagesschau.de: Gibt es aus Ihrer Sicht Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Greuel: Ja, die gibt es. In Ostdeutschland ist die Zustimmung insgesamt zur AfD höher als in Westdeutschland. Aber das ist auch Teil eines globaleren Phänomens, da handeln die ostdeutschen Jugendlichen ähnlich wie die ostdeutschen Erwachsenen.

Das speist sich ein Stück weit aus ostdeutschen Lebenswelten und Perspektiven. Die strukturellen Abwertungserfahrungen sind auch bei Jugendlichen ganz präsent - die mangelnde Repräsentation von Ostdeutschen auf Führungsebenen, eine als gering erlebte Wertschätzung oder der Umstand, dass es in Ostdeutschland geringere Löhne gibt.

Jugendliche nehmen das wahr und machen darüber auch Benachteiligungserfahrungen. Das kann man in Studien sehen: Zwei Drittel der jugendlichen Ostdeutschen konstatieren eine Benachteiligung gegenüber Westdeutschland.

Dazu kommen die inzwischen historischen Erfahrungen des Zusammenbruchs der DDR. Da sind massive Transformationsprozesse angestoßen worden, auch mit Abwertungserfahrungen in den Familien. Das ist für Jugendliche schlicht präsent, weil sie Teil von Familienbiografien sind.

Dann gibt es eine gewisse Resonanzfläche für die Krisen, die wir aktuell haben. Es entstehen Ängste, dass sich Erfahrungen wiederholen könnten. Diese Ängste greift die AfD direkt auf.

tagesschau.de: In den 1990er-Jahren versuchte auch die NPD, sich bei jungen Menschen beliebt zu machen - mit weniger Erfolg. Was ist der Unterschied zu heute?

Greuel: Diese rechtsextremen Parteien der 1990er-Jahre waren Parteien von alten Männern und haben eher eine Politik des Gestern verfolgt. Da hat die Glorifizierung des Nationalsozialismus beispielsweise noch eine andere Rolle gespielt. Und im Kern waren die meisten Positionen sehr rigoros.

Das ist ein bedeutender Unterschied zur AfD, die immer ein bisschen mit dem Feuer spielt. Es gibt problematische Äußerungen, danach kommt die Bagatellisierung und letztlich die Erklärung, man sei doch harmlos und das sei alles nicht so gemeint gewesen. Es ist eine Inszenierung von Harmlosigkeit statt des Durchbretterns von rechtsextremen Positionen. Hinzu kommt die moderne Ansprache über soziale Medien.

"Lösungen, die keine Lösungen sein können"

tagesschau.de: Wie kann die aktuelle Politik mit diesem Wahlverhalten umgehen?

Greuel: Es wäre in meinen Augen wirklich viel wert, wenn die etablierten Parteien in den sozialen Medien stärker Präsenz entfalten, auch stärker Jugendliche ansprechen und ihnen vermitteln, dass sie die Zukunft sind. Es wäre wichtig, überhaupt erst mal diesen Zugangsweg zu finden.

Und wenn man diesen Zugangsweg dann hat, gilt es, die eigenen Positionen jugendgerecht darzustellen. Dabei sollte man das tun, was man auch abseits von Social Media praktizieren sollte: sich mit der AfD aktiv auseinanderzusetzen. Ich hätte die Hoffnung, dass damit auch mancher aus Protest wählende Mensch klarer sieht, was die AfD vorhat.

Ansonsten muss man einfach feststellen, dass gerade in dieser krisenhaften Zeit die AfD ein Alleinstellungsmerkmal hat, was sie auch behalten wird: Dass sie die Dinge vereinfacht und einfache Lösungen präsentiert, die angesichts einer real existierenden Komplexität gar keine Lösungen sein können. Und das gilt es letztlich immer offensiv zu thematisieren und zu dekonstruieren.

Das Gespräch führte Jonas Hüster, tagesschau.de.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. September 2024 um 08:38 Uhr.