
Werbung auf Social Media Illegale Botox-Behandlungen boomen
Auf Social Media werben immer mehr Anbieter mit günstigen Botox-Behandlungen. Unter diesen sind laut Vollbild-Recherchen auch viele illegale Angebote, bei denen unqualifiziertes Personal das verschreibungspflichtige Medikament spritzt.
Das Geschäft mit der Schönheit ist groß - und viele wollen mitverdienen. Auch die, die eigentlich gar kein Botox spritzen dürften. Denn Botox ist in Deutschland verschreibungspflichtig und darf nur von Ärztinnen und Ärzten abgegeben werden. Auf Social Media finden sich aber viele Angebote von Beauty- und Kosmetikstudios oder sogar von Privatpersonen, die Botoxbehandlungen in ihren heimischen Wohnzimmern anbieten, wie Recherchen des SWR-Investigativformats Vollbild zeigen.
Häufig handelt es sich bei den Behandlern angeblich um Heilpraktiker. Der Fachverband der Heilpraktiker (FDH) sowie andere bundesweite Berufsverbände für Heilpraktiker teilen auf Anfrage von Vollbild mit, dass Faltenunterspritzungen mit Botox nur von Ärzten durchgeführt werden sollten. Doch daran halten sich einige Anbieter nicht.
Undercover-Versuche: Keine Skrupel vor illegalen Behandlungen
Vollbild hat undercover mehrere Beauty-Studios im Großraum Berlin besucht und um eine Behandlung mit Botox gegen Stirnfalten gebeten. Die Behandlerinnen zeigten vor der versteckten Kamera des Reporterteams offenbar ohne Problembewusstsein, dass sie echtes Botox spritzen. Der Lockvogel brach die Behandlung jeweils im letzten Moment unter einem Vorwand ab. Doch die Behandlerinnen hätten ihm Botox illegal gespritzt. Bezahlen konnte er bei all den Versuchen nur bar, Quittungen wurden auch auf Nachfrage nicht ausgestellt. Konfrontiert mit dem Vorwurf illegaler Behandlungen, haben die betroffenen Beauty-Studios im Nachgang nicht geantwortet.
Die zuständigen Gesundheitsämter Berlin Mitte und Berlin-Pankow teilten auf Anfrage mit, dass sie den Hinweisen nachgehen wollen. "Die Anwendung von Botox (…) ohne Arzt/ Ärztin zu sein, stellt einen Straftatbestand dar", schrieb das Gesundheitsamt Berlin-Pankow. Das Gesundheitsamt Berlin Mitte betonte, jeder Beschwerde werde nachgegangen. Doch ein Branchen-Insider kritisiert im Interview mit Vollbild die Berliner Gesundheitsämter: "Es hat sich mittlerweile rumgesprochen in Berlin, dass den Behandlern einfach nichts passiert."
Sogar minderjährigem Lockvogel sollte Botox gespritzt werden
Für einen Undercover-Versuch hat Vollbild einen 16-jährigen Schauspieler engagiert. Während ein Beauty-Studio ihn aufgrund seines Alters abwies, wurde der Minderjährige im zweiten Studio nicht nach seinem Alter gefragt und auch nicht über mögliche Risiken und Nebenwirkungen einer Behandlung mit Botox aufgeklärt.
Botox-Behandlungen von Minderjährigen ohne Zustimmung von Erziehungsberechtigten sind in Deutschland verboten. Die Behandlerin versuchte dem Lockvogel sogar eine deutlich umfangreichere Behandlung zu verkaufen als der ursprünglich verlangt hatte. Auch dieses Beauty-Studio hat auf eine Anfrage nicht reagiert.
Doch wie kommen Heilpraktiker und Kosmetiker an das verschreibungspflichtige Botox? Die Recherche zeigt, dass Botox ganz einfach in Onlineshops aus dem Ausland bestellt werden kann. Vollbild hat eine solche Stichprobe in ein Labor zur Analyse geschickt. Das Ergebnis: Es handelte sich tatsächlich um echtes Botulinumtoxin Typ A.
Doch es beinhaltete laut dem Laborttest zu viel Toxin - die Wirkung beim Patienten wäre bei unserer Stichprobe also viel stärker als gewöhnlich ausgefallen und hätte bei einer kosmetischen Anwendung zu sehr starken Muskellähmungen führen können. Der Shop hat auf eine Anfrage nicht reagiert. Aus welchen Beständen das Botox stammt, konnte die Redaktion nicht nachvollziehen.
Experten warnen vor "Gefahren für Leib und Seele"
Alexander Hilpert ist Plastischer Chirurg und war lange Jahre Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie. Er warnt vor illegalen Botox-Behandlern. Es gebe große Risiken bei nicht fachgerechten Botoxunterspritzungen. "Also die Gefahren sind natürlich für Leib und Seele." Im schlimmsten Fall könnten Nerven verletzt werden und so bleibende Schäden entstehen.
"Die Infektionsgefahr ist extrem hoch. Wenn (…) der Behandler nicht ausgebildet ist, kann der halt auch viel, viel kaputt machen." Letztlich könne man entstellt aus der Behandlung kommen, "weil die Muskelgruppen gelähmt wurden, die nicht gelähmt werden sollen, bis hin zu Schluckbeschwerden, Kaubeschwerden. Sie können nicht mehr aus den Augen gucken, weil beide Augenlider hängen. Auch wenn es nur temporär ist, sind das einfach große Schäden", so Hilpert.
Aber Botox ist nicht nur ein reines Beauty-Produkt, um die Hautalterung im Gesicht zu verzögern. Botox-Behandlungen können durchaus auch einen negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben: Botox könne positive Gefühle unterdrücken, indem etwa die Lachmuskulatur gelähmt wird. Daran forscht Prof. Tillmann Krüger, Leitender Oberarzt der klinischen Psychologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Krüger nennt dies die "Facial Feedback-Theorie". Andererseits könnten auch Depressionen gelindert werden, indem negative Gesichtsausdrücke durch Botox minimiert werden. Neben diesen Forschungsansätzen wird Botox schon lange erfolgreich zur Behandlung von Zähneknirschen oder Migräne eingesetzt
Landeskriminalämter sprechen von hoher Dunkelziffer
Wie groß ist das Phänomen der illegalen Botox-Behandlungen? Dazu hat Vollbild das Bundeskriminalamt und alle Landeskriminalämter in Deutschland angefragt. Dem BKA und den meisten Landeskriminalämtern ist das Phänomen nach eigenen Angaben grundsätzlich bekannt, auch wenn die meisten LKAs dazu keine gesonderten Statistiken führen und so keine Angaben über den Umfang der Ermittlungsverfahren liefern konnten.
Besonders groß scheint das Problem im Land Berlin zu sein. Das LKA dort antwortete Vollbild: "Es sind in den letzten zwei Jahren verstärkt Anzeigen in diesem Deliktsbereich bei der Polizei Berlin eingegangen. Hierbei handelt es sich häufig um anonyme Anzeigen. Unter den Geschädigten ist die Bereitschaft zur Anzeigenerstattung leider nur sehr gering. Daher geht das Landeskriminalamt von einem großen Dunkelfeld aus."
Ähnlich sieht die Lage in Bremen aus, wo zwar nur wenige Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, sich seit drei Jahren aber eine Steigerung der Fallzahlen abzeichne. Und auch in den Bundesländern Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein wurden teilweise Fälle oder Verdachtsfälle im niedrigen ein- oder zweistelligen Bereich registriert. Allerdings schreiben viele Landeskriminalämter, dass sie von einem großen Dunkelfeld ausgehen, weil die Scham oder das Unwissen von Opfern solcher Anbieter groß sei, unqualifizierte und illegale Behandler anzuzeigen. Oft erfolgten Anzeigen auch nur anonym.