Ein Feuerwehrmann löscht einen Brand in Kiew, Ukraine.

Ukraine Wie der Krieg auch die Umwelt zerstört

Stand: 30.01.2025 05:32 Uhr

Abgebrannte Wälder, verseuchte Gewässer - die Umweltschäden durch den Ukraine-Krieg sind groß. Die Schäden werden auf mehr als 70 Milliarden Euro beziffert. Umweltschützer kritisieren einen Ökozid.

Von Von Tina Friedrich und Torsten Mandalka, RBB

Schon die ersten Tage des Krieges brachten vor fast drei Jahren die erste Umweltkatastrophe des Ukraine-Krieges. 40 Jahre lang war der Boden in der Gegend von Tschernobyl nach der Reaktorkatastrophe unberührt geblieben. Dann kam die russische Invasion und die Soldaten wühlten die kontaminierte Erde auf. Die Radioaktivitätswerte in der Region seien daraufhin messbar angestiegen, sagt die ukrainische Umweltphilosophin Tetjana Gerdashuk. "Sie hoben Schützengräben aus, bauten Bunker, jagten sogar wilde Tiere und aßen ihr Fleisch." In den Tagen danach seien viele russische Soldaten strahlenkrank geworden, berichtet Gerdashuk.

Tatjana Gerdashuk forscht an der ukrainischen Akademie der Wissenschaften. Drei Monate war sie als Gastwissenschaftlerin an der Viadrina in Frankfurt an der Oder, um gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen und Kolleginnen vom Kompetenznetzwerk für internationale Ukraine Studien (KIU) unter anderem die kriegsbedingten Umweltschäden zu bilanzieren.

Delphine sterben im Schwarzen Meer

Wenn Susann Worschech vom Kompetenznetzwerk über die kriegsbedingten Umweltfolgen spricht, nennt sie Zahlen, die die Vorstellungskraft sprengen: 25.000 Hektar verbrannter Wald, 220 bedrohte oder zerstörte Naturschutzgebiete und gut eine Million Hektar verminte Wald- und Landflächen. Das entspricht in etwa der gesamten Waldfläche des Landes Brandenburg.

Neben den Menschen sterben auch die Tiere, etwa auch unzählige Delphine und Wale im Schwarzen Meer. Zugrunde gehen sie an Sprengungen von Torpedos und Minen, am Lärm der Sonare von Kriegsschiffen und an der Wasserverschmutzung. Zuletzt kollidierten im Dezember zwei russische Tanker vor der Halbinsel Krim und verursachten eine Ölpest, die bis heute nicht unter Kontrolle ist.

Ein Ölfilm ist auf dem Wasser zu sehen, nachdem der ukrainische Kachowka-Staudamm zerstört wurde.

Nach der Sprengng des Kachowka-Staudamms in der Ukraine wurde das Gebiet um die Stadt Cherson überflutet. Das Wasser war mit zahlreichen Giftstoffen verschmutzt - unter anderem mit Öl.

Zerstörung der Lebensgrundlagen durch den Krieg

In der Folgezeit kamen weitere Umweltkatastrophen hinzu. Mittlerweile sprechen Umweltschützer deswegen von einem Ökozid, also von massenhaften Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese versuchten nicht nur die Wissenschaftler in Frankfurt an der Oder zu dokumentieren, sondern auch Umweltinitiativen in der Ukraine und die in Berlin ansässige Nichtregierungsorganisation Vitsche.

In den von Russland besetzten Gebieten und an der direkten Front können die die Kriegsschäden jedoch kaum erfasst werden. Aus dem verfügbaren Material ergibt sich daher eine Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:

  • März 2022: Mehrfach Beschuss von Ölplattformen und -depots (Ölteppiche, Ölverschmutzungen, zunehmende Luftverschmutzung im ganzen Land)
  • Frühjahr 2023: Biosphärenreservat Askania Nova bedroht (insgesamt 220 durch die Invasion bedrohte Naturschutzgebiete, zum Beispiel der Nationalpark Biloberezhia Sviatoslava an der Dnjepr-Mündung ins Schwarze Meer)
  • Juni 2023: Sprengung des Kachowka Staudamms. Die Folgen: Fischsterben, erhöhter Salzgehalt im Trinkwasser, E-coli-Bakterien im Trinkwasser, Verschmutzung des Schwarzen Meeres durch Pestizide, Schwermetalle und Transformatorenöl, 20.000 verendete Landtiere

Zu den kriegsbedingten Umweltfolgen zählen die Wissenschaftler auch die Zunahme des zivilen und militärischen Grenzverkehrs und die daraus resultierende Umweltverschmutzung, sowie die Zunahme der Luftverschmutzung und gestiegene CO2-Emissionen. Im Schwarzen Meer kam es zu einem Delphinsterben, 80 Tierarten sind vom Aussterben bedroht, darunter Bison, Luchs und Braunbär. Die Kampfhandlungen führten zu Waldbränden und Bodenverseuchung, und zur Entstehung von Todeszonen durch Landminen.

Wachsendes Risiko von Tankerunfällen

Auch auf der russischen Seite der Front gibt es Umweltschäden. Doch diese lassen sich, wie der Tankerunfall vor der Krim, nur schwer dokumentieren. Außerhalb des Kriegsgebiets steigt das Risiko für Umweltkatastrophen ebenfalls. Nach Einschätzung von Susann Worschech von der Viadrina hat sich durch die Bewegungen der russischen Schattenflotte und den maroden Zustand der Schiffe das Risiko von Tankerunfällen an vielen Orten erhöht - an den Schwarzmeerküsten der EU-Staaten Rumänien und Bulgarien, aber auch in türkischen Gewässern und in der Ostsee. "Eine Ölkatastrophe vor Finnland, vor Estland, vor Schweden", sagt Worschech, "wäre genauso katastrophal, wie sie es jetzt auch vor der Krim ist."

Umweltschäden von 72 Milliarden Euro

An der Viadrina versuchen die Wissenschaftler im KIU die Erkenntnisse zu den Umweltschäden zusammenzutragen und zu berechnen. Worschech, die Koordinatorin des Kompetenzzentrums, kommt jetzt, fast drei Jahre nach Kriegsbeginn, auf eine Schadenssumme von 72 Milliarden Euro. Sie beruft sich dabei auf Berechnungen der Ukrainische Umweltbehörde.

Es gehe nun darum, deutlich zu machen, dass dieser Krieg und seine Umweltschäden auch Europa und die internationale Gemeinschaft direkt betreffen, betont die Viadrina-Forscherin. Die schlimmste anzunehmende Katastrophe wäre ihren Worten zufolge, wenn im Atomkraftwerk Saporischschja, das von russischen Besatzungstruppen kontrolliert wird, ein Unfall passieren würde. Das wäre dann "eine Nuklearkatastrophe von ungeahnten Ausmaßen, gegen die Tschernobyl wahrscheinlich wirklich klein aussieht."

Ökozid als Straftat

Die Umweltzerstörungen in der Ukraine stehen nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, nicht mal in der Ukraine selbst. "Jeden Tag passiert etwas in der Ukraine", sagt Tetjana Gerdashuk im Interview mit rbb24 Recherche, "und wir haben gar keine Zeit, darüber nachzudenken." Dennoch sammeln Regierung, Wissenschaftler und NGOs stetig alle verfügbaren Informationen über die Umweltzerstörungen. Dazu gehört auch, dass gestrandete tote Delphine und Wale obduziert werden, um die Todesursache zu ermitteln.

Die aufwendige Spurensuche dient einem höheren Ziel: den Ökozid durch detaillierte Beweise zur Anklage zu bringen und als Grundlage für Reparationsforderungen an Russland zu nehmen. Noch verfolgt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den Ökozid nicht als Straftat. EU und UN machten sich aber bereits dafür stark, Umweltverbrechen in den Katalog der dort verfolgten Straftaten mit aufzunehmen. Dann könnten nicht nur Reparationszahlungen dafür fällig werden, sondern auch Anklage gegen Einzelpersonen erhoben und Haftstrafen verhängt werden.

Nachdenken über Beschlagnahme russischer Vermögen

Schon jetzt ist klar, dass die Beseitigung der kriegsbedingten Umweltfolgen und der Auf- und Ausbau einer CO2-neutralen und unabhängigen Energieinfrastruktur erhebliche Kosten verursachen wird. Für Worschech sind hier die "die Bundesregierung und die Europäische Union finanziell am Zug."

Die Forscherin an der Viadrina plädiert unter anderem dafür, stillgelegten russische Vermögenswerten für diesen Zweck zu verwenden. Es führe kein Weg daran vorbei, in einer immer komplizierter werdenden Welt international zu kooperieren und zu denken, so Worschech.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 30. Januar 2025 um 06:44 Uhr.