Vor der Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm Es geht auch um die Zukunft von Schwarz-Gelb

Stand: 28.09.2011 14:12 Uhr

Der Bundestag stimmt am Donnerstag über die EFSF-Erweiterung ab. Die Mehrheit für das Gesetz ist wegen der angekündigten Zustimmung auch von SPD und Grünen gesichert, mit Spannung wird aber die Zahl all derer in den Reihen der schwarz-gelben Regierungsfraktionen verfolgt, die nicht zustimmen wollen.

Von Corinna Emundts, tagesschau.de

Alle wissen, dass es eigentlich Thema sein müsste, nur aussprechen will es keiner: So steht das Wort von der "Kanzlermehrheit" zwar im Raum, in den Mund mag es aber keiner der führenden Koalitionspolitiker nehmen - außer mal wieder CSU-Chef Horst Seehofer. Nicht Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der zwei Tage vor der großen Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm die FDP-Fraktion mit einem Besuch beehrte. Nicht Rainer Brüderle, der FDP-Fraktionschef und nicht sein Kollege Volker Kauder von der Unionsfraktion. Zu heikel das Thema, zu knapp die eigene Mehrheit. Bloß keine zu hohen Erwartungen schüren.

Demonstrative Bescheidenheit?

"Wir sind schon froh, wenn wir eine eigene Mehrheit kriegen", heißt es treuherzig in Fraktionskreisen der Union.  Auch die Kanzlerin betonte am Sonntag in der ARD, es gehe um die "eigene Mehrheit". Warum das Getänzel um das eine Wort? Weil sie zwar nah dran sind und es vielleicht schaffen, aber sehr viel wahrscheinlicher ein paar Stimmen unter der Kanzlermehrheit landen werden. Und doch so gerne folgendes Oppositions- und Medienecho vermeiden wollen: Dass sich mal wieder zeige, dass die Koalition in wichtigen Fragen nicht zusammensteht, wenn die Kanzlerin nicht eine echte "Kanzlermehrheit" zusammenkriegt. Oder, dass die Kanzlerin zu schwach sei zu führen, wie man es in diesen Tagen öfter lesen kann.

Am Donnerstag geht es bei der Abstimmung zwar inhaltlich um die neuen Instrumente für den Euro-Rettungsschirm und eine verstärkte Mitbestimmung des Bundestages in diesen Fragen - aber was Merkel und Co. wissen, aber in diesen Tagen so gerne verschweigen: Es geht vor allem um die Zukunft der Koalition. Die Kanzlerin und ihre Gefolgschaft wollen es schaffen die Behauptung loszuwerden, Schwarz-Gelb sei instabil.

Heimliche Hoffnung auf eigene "Kanzlermehrheit"

Und natürlich hoffen sie insgeheim auf die Kanzlermehrheit, zwischen den Zeilen hört man das doch in den Gesprächen am Rande des Bundestages heraus. Dann nämlich wäre die Stabilitätsdebatte tot, zumindest was die Koalition angeht. Wenigstens für ein paar Wochen zum Luft holen - bis zur nächsten Euro-Abstimmung. Und denkbar ist das: In der Regel werden die Abweichler zahlenmäßig weniger, je näher der Tag der eigentlichen Entscheidung rückt.

Doch die so genannte Kanzlermehrheit ist unbarmherzig. Sie meint die absolute Mehrheit im Parlament und liegt bei mindestens 311 Stimmen - eine mehr als die Hälfte aller Abgeordneten des Deutschen  Bundestages, 620 sind es insgesamt. Nun kann die Kanzlermehrheit auch Stimmen der anderen Fraktionen enthalten;  dieser umgangssprachlich verwendete Begriff bezeichnet eigentlich nur die notwendige Mehrheit eines Parlamentes, um den Kanzler oder die Kanzlerin zu wählen.

Mit der aktuellen Debatte um die Kanzlermehrheit ist aber eine aus schwarz-gelben Koalitionsstimmen gespeiste Kanzlermehrheit gemeint. Das bedeutet, dass Merkel alle ihrer 330 Abgeordneten auf Linie bringen müsste - bis auf 19 rechnerisch mögliche Abweichler. Und dass nicht allzu viele wegen Krankheit fehlen dürfen. Rechnet man derzeit bekannte Krankheitsfälle, die Probeabstimmung der Unionsfraktion von Dienstag und die Probeabstimmung der FDP von Anfang September zusammen, wird es für Donnerstag schon zu knapp für die nur aus schwarz-gelben Stimmen bestehende Kanzlermehrheit.

Fraktionssitzungen verlaufen ruhig

Deswegen verwendet die Koalition so viel Energie darauf zu behaupten, dass die eigene Mehrheit doch das wichtigste sei. Und an der zweifelt nicht einmal mehr die SPD, die ebenfalls dem Gesetz zustimmen will.  Ein Scheitern der schwarz-gelben Mehrheit gilt im Regierungsviertel als unwahrscheinlich. Dafür verliefen die jüngsten Fraktionssitzungen zu ruhig, bekam Merkel zu viel Applaus bei der Union. Dennoch zog sie - wohl sicherheitshalber - in der Sitzung alle Register und wandte sich mit regelrecht bittenden Worten an die Abgeordneten. Schließlich hatten koalitionsintern Interview-Äußerungen von Schäuble und dem Finanzolitiker Hermann-Otto Solms (FDP) am Wochenende noch Unruhe gestiftet und Abweichler weiter bestärkt.

Das geplante Bundestags-Votum zum Euro-Rettungsschirm
Mehrere Koalitionspolitiker fordern, Schwarz-Gelb müsse bei der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe die Kanzlermehrheit erreichen, Kanzlerin Merkel spricht dagegen von einer eigenen Mehrheit: Im letzten Fall müssten die Regierungsfraktionen ohne Oppositionshilfe die Mehrheit der anwesenden Abgeordneten erreichen. Für die Kanzlermehrheit wäre mehr als die Hälfte aller möglichen 620 Bundestagsstimmen erforderlich, also 311 - unabhängig davon, wie viele Abgeordnete tatsächlich anwesend sind. Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition können die Kanzlerin übrigens nicht anonym in eine Koalitionskrise stürzen - der Bundestag wird über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms namentlich abstimmen.

Sie wolle sich in der Frage der Mehrheit für den Euro-Rettungsschirm nicht von der Opposition abhängig machen, sagte sie in der Fraktionssitzung. Dafür habe sie die eigenen Abgeordneten viel zu gerne und sie habe noch viel mit ihnen vor. Ungewöhnliche Worte für die Kanzlerin. Merkel versuchte, verbreitete Ängste zu zerstreuen: "So wenig wir dem Druck Washingtons nach Konjunkturprogrammen nachgeben werden, so wenig werden wir die EZB zum ungebremsten Geld-Drucken nutzen, um den EFSF zu finanzieren".

Merkels Ansehen in der Welt steht auch auf dem Spiel

Dieses letzte Einschwören der Fraktion auf den eigenen Euro-Kurs, das sie bereits mit ihrem einstündigen ARD-Interview am Sonntag versucht hatte, zeigt die Bedeutung der Abstimmung, die viele als wichtigste in diesem Jahr bezeichnen. Denn würde Merkel hier auf Stimmen aus der Opposition angewiesen sein, würde ihr zwar beim EFSF-Gesetz nichts passieren. Doch sie hätte eine Neuwahl-Debatte am Hals - mit nicht-absehbarer Dynamik. Auch ihr Ansehen in Europa und in der Welt würde leiden, wenn sie bei der Entscheidung keine eigene Mehrheit hätte.