Energieversorgung Biogas statt russisches Erdgas?
Doppelt so viel Biogas wie jetzt: Das sei möglich, heißt es aus der Branche. Damit ließe sich russisches Erdgas beim Heizen zumindest teilweise ersetzen.
Deutschland und andere Länder Europas wollen nach dem Angriff auf die Ukraine möglichst schnell unabhängiger von russischem Erdgas werden. Biogas, das hierzulande aus Gülle, Mist, Mais und anderen Pflanzen erzeugt wird, könnte Experten zufolge eine Alternative sein und das importierte Erdgas zumindest zum Teil ersetzen.
Biogas wird ins Erdgasnetz eingespeist
Landwirt Karl-Heinz Geiß schließt die Tür zu einem beigen Container auf, drinnen herrscht ohrenbetäubender Lärm. In Dutzenden dicken Rohren wird Biogas durch Membranen gepresst. "Hier wird Kohlendioxid abgefiltert, und damit kann man nicht mehr unterscheiden, ob das Gas aus der Biogasanlage oder aus Russland kommt", sagt der Landwirt. Nach der Aufbereitung besteht das Biogas fast nur noch aus Methan und kann ins Erdgasnetz eingespeist werden.
Die Biogasanlage, die der Landwirt zusammen mit vier Kollegen in Reimlingen im Nördlinger Ries betreibt, ist selten. Hier wird aus Biogas nicht nur Strom, sondern auch Gas zum Heizen produziert. Das können bisher erst 22 der gut 2500 Anlagen in Bayern.
Hälfte der Russland-Importe ersetzbar?
Aber vielleicht ist genau das die Zukunft. Innerhalb von fünf bis zehn Jahren könnte die Biogasproduktion verdoppelt werden, heißt es beim Fachverband Biogas in Freising. Damit ließe sich die Hälfte der Gasimporte aus Russland ersetzen. Dafür brauche es aber ein klares Signal aus der Politik, dass die Biogasanlagen weiterhin benötigt würden, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Claudius da Costa Gomez, dem BR. Auch müssten Genehmigungen schneller erteilt werden.
Schon kurzfristig könnte die Biogasbranche 20 Prozent mehr Gas liefern, schätzt da Costa Gomez. Dazu müsste die Deckelung von Anlagen wegfallen, die zurzeit bewirkt, dass viele Biogasanlagen nicht unter Volllast fahren. Mit dieser Maßnahme würden aber auch die Vorräte an Mais und Gülle, mit denen die Bakterien gefüttert werden, schneller aufgebraucht.
Naturschützer vollziehen Kehrtwende
Die Bakterien in den Biogasanlagen zersetzen vor allem Maissilage. Der dadurch verstärkte Maisanbau in Regionen mit viel Biogas - wie im Norden Schwabens - wird deshalb schon lange von Naturschützern kritisiert. Von Monokulturen und Maiswüsten war oft die Rede.
Deshalb ist es umso bemerkenswerter, was der Vorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, kürzlich auf einer Pressekonferenz gesagt hat: Neue Maisfelder für mehr Biogas seien "das kleinere Übel", wenn es dafür beim Atomausstieg bleibe. Generell ist der Bund Naturschutz aber dafür, dass der Ausbau hin zu mehr Biogas vor allem mit mehr Gülle, Mist und dem Schnitt von Blühflächen gelingt.
Umweltbundesamt sieht zusätzliches Biogas kritisch
Zusätzliche Maisfelder? Die brauche es gar nicht, heißt es beim Fachverband Biogas. Es ginge auch mit "alternativen Energiepflanzen", so da Costa Gomez - also zum Beispiel Gras oder Durchwachsene Silphie, eine gelbblühende Pflanze, die bis zu drei Meter hoch wird und ursprünglich aus Nordamerika stammt. Mehr Fläche für Biogas kann aber auch bedeuten: Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion.
Klar ist in diesem Zusammenhang die Position des Umweltbundesamtes. Eine Sprecherin teilt dem BR auf Anfrage mit: "Forderungen, die produzierten Biogasmengen zu erhöhen, um damit vermeintlich unabhängiger von russischem Gas zu werden, betrachten wir kritisch. Neben anderen Aspekten der Nutzungskonkurrenzen um landwirtschaftliche Fläche sollten dabei unseres Erachtens Risiken für die (globale) Ernährungssicherheit derzeit im Vordergrund stehen."
Solarparks effizienter als Mais
Potenzial steckt deshalb wohl noch in den Bioabfällen aus Privathaushalten oder in Gülle und Mist aus der Tierhaltung, die sowieso da sind. Erst gut ein Viertel davon landen nämlich in Biogasanlagen. Um mit Biogas zu heizen, müssten viele Anlagen noch in Aufbereitungsanlagen für das Erdgasnetz investieren. Das würde Jahre dauern - könnte Biogas aber unverzichtbar machen, wenn auf russisches Erdgas verzichtet werden soll.
Im Gegensatz dazu sei Strom aus Biogas ineffizient, sagt Energieforscher Michael Sterner von der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg: "Es ist de facto so, dass Wind- und Sonnenenergie die günstigste Form sind, den Strom zu ernten, mit dem geringsten Flächenverbrauch. Ich mache einen ganz einfachen Vergleich: Mit einem Hektar Solarpark können Sie so viel Strom erzeugen wie mit 40 Hektar Biogas-Mais."
In Reimlingen setzen Landwirt Geiß und seine Kollegen deshalb auch auf Gülle und Mist. Sie haben einen Antrag gestellt, dass diese - neben Mais und Getreide - bei ihnen auch in die Biogasanlage kommen dürfen. Sie könnten die Biogasanlage unter anderem mit neuen Gärbehältern erweitern und so die Leistung der Anlage um 50 Prozent steigern. Geiß ist der Meinung, dass Biogas ein Baustein sein kann, um unabhängiger von Gasimporten aus Russland zu werden.