SAP-Geschäftszahlen Nicht nur Gewinner in Walldorf
SAP hat überraschend starke Zahlen vorgelegt. Die Umstrukturierung läuft seit Jahren sehr erfolgreich. Doch das enorme Tempo beim Umbau sorgt auch für einige Probleme.
Am 26. Oktober 2020 steckte der deutsche Softwareriese SAP in einer tiefen Krise. Christian Klein, damals erst seit einigen Monaten alleiniger Vorstandssprecher, hatte gerade einen radikalen Kurswechsel angekündigt: Weg vom traditionellen Geschäft mit Softwarelizenzen hin zu einem breiten Angebot an Cloud-Diensten für die Kunden - also Dienste, die über das Internet bereitgestellt werden anstatt direkt auf einem lokalen Gerät.
In der Branche gab es Überraschung, Kritik und sogar Kopfschütteln. Die SAP-Aktie rauschte quasi über Nacht um 20 Prozent in den Keller. Rechnerisch wurden 30 Milliarden Euro verbrannt.
Aufs richtige Pferd gesetzt
Und heute? SAP geht es so gut wie nie. Der Softwarekonzern ist das mit Abstand wertvollste deutsche Unternehmen. Zum Stichtag 2024 ist es laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY mit einem Börsenwert von 285 Milliarden Dollar die Nummer 32 der Welt - und damit fast doppelt so viel wert wie die Autoriesen Mercedes-Benz, VW und BMW zusammen. Der Aktienkurs erreicht ständig neue Höhen, liegt aktuell bei um die 260 Euro.
Kleins Risiko, vor dreieinhalb Jahren scheinbar alles auf eine Karte zu setzen, hat sich ausgezahlt. Der 44-Jährige, nach wie vor jüngster Chef eines DAX-Unternehmens, beschreibt es heute bei der Vorstellung der Geschäftszahlen als "Berg, den SAP seit vier Jahren besteigt". 2025 soll der Gipfel erreicht werden - mit dem Start des eigenen KI-Assistenten "Joule" für die SAP-Geschäftsanwendungen.
Zahlen übertreffen Erwartungen
"Vor vier Jahren gab es nicht nur Beifall, sondern viel, viel Kritik", blickte Klein unlängst im Interview mit den tagesthemen auf die damalige Situation zurück. "Das war kurzfristig alles andere als einfach. Aber dennoch muss man Überzeugung haben, muss wissen, wo geht die Industrie langfristig hin und muss diesen Weg konsequent begleiten." Im Fall von SAP heißt das: Weg vom alten Modell, die Software anderer aufzukaufen und ins eigene Portfolio einzugliedern, hin zur Integration bestehender Software in die Cloud. Und vor allem: Alles hin in Richtung Künstliche Intelligenz.
Der 2020 eingeschlagene Erfolgskurs spiegelt sich auch in den heute veröffentlichten Geschäftszahlen wider, die die Erwartungen vieler Branchenbeobachter sogar noch übertreffen: Der Umsatz kletterte im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent auf 9,4 Milliarden Euro. Antriebsmotor dafür sind vor allem die Aboverträge für die Softwarelösungen der Kunden, die weiter stark gestiegen sind. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern stieg um 24 Prozent auf 2,44 Milliarden Euro, der Nettogewinn um 35 Prozent auf 1,62 Milliarden Euro an.
Vom "DeepSeek"-Schock nicht betroffen?
Vom jüngsten Beben an den Aktienmärkten, ausgelöst durch das gerade veröffentlichte und ebenso günstige wie leistungsstarke KI-Modell des chinesischen Start-up "DeepSeek", sieht SAP sich nicht betroffen. Die Entscheidung, kein eigenes sogenanntes Large Language Model wie das von DeepSeek oder etwa ChatGPT vom US-Konkurrenten OpenAI zu entwickeln, sei die richtige gewesen, betont Klein heute immer wieder - fast gebetsmühlenartig.
Stattdessen wolle SAP den bisher eingeschlagenen Weg, viele verschiedene bestehende Modelle in eigene, auf die Kunden zugeschnittene Lösungen zu integrieren, weitergehen.
Der Fokus liegt auf Indien
Dennoch gibt es in Walldorf nicht nur Gewinner. Um das Unternehmen umzukrempeln, mussten zahlreiche Mitarbeiter gehen, vor allem in Bereichen, die zurückgebaut werden sollen. In Deutschland sollten 2.600 Stellen wegfallen - durch großzügige Abfindungszahlungen und Vorruhestandsmodelle wurden es am Ende sogar noch deutlich mehr.
Zwar sollen dafür auch wieder neue Mitarbeitende angeheuert werden, vor allem im KI-Bereich. Fraglich bleibt, ob auch in Deutschland: Im November kündigte SAP an, in Indien überproportional einzustellen. Noch einmal 15.000 Stellen könnten zusätzlich zu den schon bestehenden 15.000 Stellen in Indien geschaffen werden. Damit wäre Deutschland nicht länger mitarbeiterstärkster Standort des Unternehmens.
Kritische Belegschaft, kritischer Betriebsrat
Andreas Hahn, Mitglied im Aufsichtsrat und Vorsitzender SAP-Betriebsrats Europa, kritisiert das enorme Tempo des Umbaus. "Zu schnell, zu viel, zu oft - das ist das, was ich immer mehr höre", berichtete er von seinen Gesprächen in der Belegschaft. "Die Leute haben Probleme, sich auf die langfristigen Ziele auszurichten. Sie wissen nicht, wie sie sich jetzt genau verhalten sollen. Ist das morgen noch gültig, was wir heute gehört haben? Und das treibt die Verunsicherung ganz enorm."
Auch das Vorruhestandsprogramm sieht Hahn kritisch. Dadurch gehe dem Unternehmen viel an Know-how der langjährigen Mitarbeitenden verloren.
"Wir wissen, die Geschwindigkeit des Umbaus ist schnell, und wir haben den Mitarbeitenden viel abverlangt", sagte SAP-Chef Klein auf der Bilanz-Pressekonferenz. Die Technologiebranche verändere sich allerdings schnell - und zeitnahe Reaktionen seien notwendig.
Wirbel auch auf Management-Ebene
Zudem gab es in den vergangenen Monaten immer wieder interne Querelen: Mehrfach drehte sich das Personalkarussell auf Führungsebene. Der designierte Aufsichtsratsvorsitzende Punit Renjen trat seinen Posten erst gar nicht an - weil er sich schon zuvor als einfacher Aufsichtsrat zu oft ins Tagesgeschäft eingemischt habe, vermuten Insider. Technologie-Chef Jürgen Müller musste nach "unangemessenem Verhalten" auf einer Firmenveranstaltung - so die offizielle Unternehmenserklärung - dann im September den Hut nehmen.
Gleich mehrere Prozesse vor dem Arbeitsgericht
Dazu klagen Vorruheständler vor dem Arbeitsgericht auf eine Gehaltserhöhung und eine Inflationsausgleichsprämie, bekamen in den bisherigen Instanzen allerdings kein Recht. In einem anderen Prozess wird die jüngste Aufsichtsratswahl bei SAP wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten angefochten. Auch die interne Regelung, dass Mitarbeiter wieder mindestens drei Tage in Präsenz arbeiten müssen, sorgte für Unruhe. Genau wie Aussagen Kleins, die Leistungskultur müsse wieder mehr im Vordergrund stehen - bis hin zu Überlegungen, wie man leistungsschwache Beschäftigte schneller loswerden kann als bisher.
Klein, der sich fast schon in Rekordzeit bei SAP vom Werkstudenten zum mittlerweile Vorstandsvorsitzenden hochgearbeitet hat, denkt bei seinen Vorstößen aus globaler Perspektive, will SAP im Rennen vor allem mit den Tech-Giganten in den USA auf Kurs halten. Am Stammsitz Deutschland, mit seinen hohen Ansprüchen an Arbeitnehmer- und Kündigungsschutz, kommen solche Gedankenspiele erwartungsgemäß weniger gut an.
Kunden beklagen Druck beim Systemwechsel
Ebenso wie einige Geschäftsmodelle. Kunden beklagen, dass sie von SAP beim Umstieg auf die neuen Cloud-Lösungen mehr oder weniger die Pistole auf die Brust gesetzt bekommen. Denn für alte Betriebssoftware soll der Support nach und nach eingestellt. Die Kundschaft muss dann neue Programme von SAP kaufen. "Das ist eine große Herausforderung, für unsere Mitglieder", sagt Jens Hungershausen, Vorsitzender der deutschsprachigen SAP-Anwendervertretung DSAG.
SAP selbst betonte immer wieder, nur so wettbewerbsfähig zu bleiben - und dass andere Softwareriesen wie etwa Microsoft mit seinen Windows-Versionen ähnlich vorgingen. Tatsächlich ist der Erfolg von SAP - das zeigen auch die Geschäftszahlen heute - maßgeblich davon abhängig, wie viele Unternehmen zusammen mit SAP "in die Cloud gehen". Rund 40 Prozent der Kunden hätten schon mit der Umstellung begonnen, verkündet Klein. Kundenvertreter Jens Hungershausen sagte dazu: "Das wird auch das bestimmende Thema jetzt in den kommenden Jahren sein. Und damit einher geht eben auch der Druck, der ausgeübt wird auf die SAP-Kunden, in die Cloud da auch entsprechend zu gehen."
"Scheitern gehört zum Job"
Konzernlenker Klein will sich dennoch nicht von seinem Weg abbringen lassen, sieht die Aufregung um DeepSeek als "Weckruf" für die ganze Branche. "Scheitern gehört zum Job, gehört zum Beruf - und ich glaube auch diesen Mut, dann Entscheidungen zu fällen", sagte Klein neulich im tagesthemen-Interview. Sein Mut, das Unternehmen 2020 radikal neu aufzustellen, wurde belohnt - das zeigt der Blick auf die Geschäftszahlen. SAP wird den eingeschlagenen Weg weitergehen. Wie hoch der Preis für den Standort Deutschland, die Mitarbeitenden und die Kundschaft ist, muss sich allerdings erst zeigen.