Boomender Online-Handel Ein Pfandsystem gegen Verpackungsmüll?
Obwohl in der EU immer mehr recycelt wird, wächst die Menge der erzeugten Abfälle schneller als das tatsächliche Recycling. Ein Grund: der florierende Online-Handel. Können Mehrwegverpackungen im Versand helfen?
Um 20 Prozent nahmen die Abfälle in den EU-Ländern binnen zehn Jahren zu - insbesondere bei den Einwegverpackungen. Wenn das so weiter geht, dann würde die Menge der Kunststoffabfälle bis 2040 um fast zwei Drittel steigen, verglichen mit dem Jahr 2018, rechnet die EU-Kommission vor. Sie will diesen Trend deshalb stoppen: Im November vergangenen Jahres stellte sie eine überarbeite EU-Verpackungsverordnung vor. Auch im Blick: der boomende Online-Handel.
"Unmengen von Verpackungsabfall"
Grünen-Europaabgeordnete Malte Gallée sagt: "Im Online-Handel sind in den letzten Jahren Unmengen und auch tatsächlich immer mehr Verpackungsabfall angefallen. Allein in Deutschland waren es 2018, also noch vor der Pandemie, 830.000 Tonnen an Verpackungsmaterial. Das ist ein riesiges Potenzial, um das einzusparen."
Zehn Prozent aller Sendungen im Online-Handel sollen nach den Plänen bis 2030 in einem Mehrwegsystem verschickt werden, zehn Jahre später schon bereits die Hälfte. Aber wie sehr lassen sich auch die Kundinnen und Kunden auf ein Mehrwegsystem im Online-Handel ein?
Tchibo machte gute Erfahrungen mit Mehrweg-Test
Im Jahr 2020 testete das Handelsunternehmen Tchibo gemeinsam mit anderen den Versand von Waren mit Mehrwegverpackungen. Das Ergebnis: 81 Prozent der Mehrwegbeutel wurden zurückgeschickt. Ein voller Erfolg, könnte man meinen.
Andere Pilotprojekte wiesen aber eine geringere Quote auf. Auch der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland BEVH ist eher skeptisch. "Wir haben Mitgliedsunternehmen, die bereits nachhaltig aufgestellt sind und auch seit langem Mehrweglösungen anbieten", sagt Eva Behling, Justiziarin beim BEVH. "Und auch diese Firmen haben uns berichtet, dass gerade mal 25 Prozent ihrer Versendungen in Mehrwegboxen erfolgen. Das heißt, nicht alle Kunden sind bereit, Mehrwegverpackungen anzunehmen. Außerdem passen nicht alle Produkte in Mehrwegverpackungen", so Behling weiter.
Der Vorschlag der Kommission sieht außerdem vor, dass der Leerraum zwischen Produkt- und Versandverpackung höchstens 40 Prozent ausmachen darf. Manche sperrige Produkte, kritisiert der BEVH, ließen sich mit den gängigen Behältern nicht so verpacken, dass die Vorgabe eingehalten werden kann.
Leere Verpackungen durch Europa schicken?
Ebenso bezweifelt die Branche, dass die Vorschläge im grenzüberschreitenden Versandhandel umweltfreundlich seien. Ein Fallbeispiel: Eine spanische Kundin bestellt bei einem deutschen Händler ein Elektrogerät in einer Mehrwegbox und behält die Ware. "Dann würde sie eine komplett leere Mehrwegbox mit 100 Prozent Leerraum wieder aus Spanien nach Deutschland verschicken. Hier bezweifeln wir, dass das nach unseren aktuellen Kenntnissen die nachhaltigste Lösung ist", so Behling.
Grünen-PolitikerGallée ist hingegen überzeugt, dass das Mehrwegsystem klappen kann und dass der Vorschlag der Kommission auch noch höhere Mehrwegquoten vertragen könnte. Ein Pfandsystem würde von den Verbrauchern angenommen werden, wenn es einfach ist: "Je größer und flächendeckender ein Pfandsystem ist, desto eher bringen die Leute das auch weg. Deswegen haben wir auch im Getränkeeinzelhandel eine Rücklaufquote von 98 Prozent. Weil es einfach ist und die Leute einen Anreiz haben. Genau das brauchen wir für die künftigen Pfandsysteme überall", so Gallée.
Frage nach Akzeptanz - und Ertrag für die Unternehmen
Es kommt aber nicht nur auf die Akzeptanz bei den Kunden an, sondern auch auf die Zahl der Umläufe, damit das System auch tatsächlich nachhaltig ist, sagen Experten. Auch muss geklärt sein, wer das Pfandsystem betreibt, die Händler oder die Logistikunternehmen und ob sich das am Ende für alle Seiten auch rechnet.
Bereits im Herbst könnte das EU-Parlament über den Vorschlag abstimmen, danach die Verhandlung mit den Ländern beginnen. Allerdings regt sich im Parlament von Christdemokraten, rechten Fraktionen und Teilen der Liberalen zunehmend Widerstand gegen eine strenge Umweltgesetzgebung. Damit könnte auch die Novelle dieses Gesetzes noch für viel politischen Streit sorgen.