Fünf Jahre Bundes-Klimaschutzgesetz Deutschland verfehlt selbst gesteckte Klimaziele
Klimaziele gab es zwar schon früher, aber sie waren nicht verbindlich. Heute überwacht ein Expertenrat, ob Deutschland im Plan ist beim Klimaschutz. Und der glaubt nicht, dass Deutschland seine Ziele erreicht.
Für Abgase von Fabriken oder Kraftwerke gab es schon in den 60er-Jahren Grenzwerte. Doch das Bundes-Klimaschutzgesetz funktioniert anders: Es legt Ziele fest. Eine zweite Besonderheit: Ein Expertenrat beurteilt jedes Frühjahr, ob die Etappen zu diesen Zielen auch erreicht wurden. Seine "Klima-Zeugnisse" fielen regelmäßig eher gemischt aus: Es gab Erfolge, aber stets auch Defizite, vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäude.
Ziele und Aktionspläne
Am 12. Dezember 2019 wurde das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung beschlossen: Bis 2030 sollten die Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent sinken, bis 2050 sollte Deutschland klimaneutral werden.
Für die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges nennt das Gesetz außerdem bis 2030 maximale Jahres-Emissionsmengen. Werden sie überschritten, muss dieser Sektor ein Sofortprogramm vorlegen, was regelmäßig für Verkehr und Gebäude der Fall war. Beide konnten sich allerdings zum Ausgleich auch bei Sektoren "bedienen", die ihre Ziele übererfüllt hatten.
Verfassungswidrig, weil nicht zukunftsfähig
Im März 2021 urteilte das Bundes-Verfassungsgericht, das Gesetz verstoße gegen den Grundgesetz-Artikel 20a. Der verpflichtet den Staat, "auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen". Das Gesetz verschiebe aber die Last der Emissionsminderung vor allem in die Zeit nach 2030 - zulasten der heutigen jungen Generation. Geklagt hatten Klimaaktivisten im Alter zwischen 15 und 32 Jahren.
Der Umweltpolitik-Wissenschaftler Martin Jänicke von der Freien Universität Berlin hält das Urteil für wegweisend. "Zukünftige Menschen haben keine Rechte, aber Kinder haben Rechte. Es ist ein sehr interessanter Weg, die Unklarheit von Zukunftsfragen auf konkrete Interessenten zu beziehen". Die Novelle des Gesetzes legte neue Etappen fest: 65 statt 55 Prozent Minderung bis 2030, Klimaneutralität bis 2045 statt 2050.
Blick in die Zukunft
Im vergangenen Sommer stand die zweite Novelle an. Jetzt werden nicht nur die Emissionsdaten des Vorjahres vom Expertenrat geprüft, sondern auch die sogenannte Projektion: Eine Schätzung, wie sich die politischen Entscheidungen auf die zukünftigen Treibhausgas-Emissionen auswirken.
"Wenn in der Projektion die Ziele nicht erreicht werden, muss die Regierung ein neues Klimaschutzprogramm auflegen," erklärt Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme. "Allerdings, und das haben wir durchaus kritisch beurteilt, erst, wenn dies zweimal in Folge passiert. Wenn absehbar ist, dass die Ziele nicht erreicht werden, wäre es gut, unmittelbar zu handeln." Wie der Klimaschutz weiterentwickelt werden sollte, dazu kann der Expertenrat jetzt auch Vorschläge machen, eine weitere Neuerung im Gesetz.
Abgeschafft wurden bei der jüngsten Novelle die Höchstmengen der einzelnen Sektoren - es gibt nur noch ein gemeinsames Ziel für alle. Umweltverbände hatten das als Schwächung kritisiert. Hans-Martin Henning verweist allerdings darauf, dass Überschreitungen in einem Sektor auch vorher schon durch Unterschreitungen in einem anderen ausgeglichen werden konnten. Weggefallen sind die Sofortprogramme. "Aber insbesondere die Sektoren, die für Überschreitungen in der Projektion verantwortlich sind, müssen Maßnahmen vorschlagen, die dann eben in ein gesamtes Regierungsprogramm eingehen. Und auch das würde wieder von uns überprüft."
"Klimaschutz-Jahreszeugnis" ohne Folgen?
In diesem Jahr hat der Expertenrat in seinem Gutachten erstmals auch die Projektion der Treibhausgas-Emissionen unter die Lupe genommen. Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass Deutschland seine Ziele erreicht. Doch der Expertenrat sieht das anders, sagt Hans-Martin Henning: "Weil nach unserer Einschätzung doch einige zu optimistische Annahmen enthalten waren, was die zukünftige Entwicklung betrifft." Laut dem Gutachten wird das Ziel 2030 knapp verfehlt, für die Zeit danach sieht der Expertenrat sogar "substanzielle Überschreitungen der Ziele".
Welche Folgen hat ein schlechtes "Klimaschutz-Jahreszeugnis"? Sanktionen gibt es nicht. "Aber ich denke schon, dass die Kraft unseres Wortes einige Wirkung erzielen kann," meint Henning. "Unsere Beurteilung der Sofortprogramme oder des Klimaschutzprogramms 2023 wurden in der Öffentlichkeit sehr aufmerksam verfolgt."
Das vergessene Klimaziel
Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick zurück auf das erste deutsche Klimaziel von 1987: Bis 2005 sollte Deutschland 25 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990. Gesetzlich verankert war es nicht, und der Klimawandel war damals nur ein Thema für die Wissenschaft, nicht für die Politik. Bis Anfang der 2000er geriet es in Vergessenheit, sagt Umweltpolitik-Wissenschaftler Jänicke: "Ich war in der Zeit im Sachverständigenrat für Umweltfragen, wir mussten nachblättern, um zu gucken, dass es dieses Ziel gab. Offensichtlich ist auch überhaupt nicht diskutiert worden, wie man es machen muss. Aber der breite Dialog ist Bestandteil einer zielorientierten Politik: Nur wenn die Ziele breit ausgehandelt sind, werden sie auch akzeptiert."
Beim zweiten deutschen Klimaziel von 2007 - immer noch ohne Gesetz - klappte das so gerade eben: 40 Prozent weniger Treibhausgase bis 2020 wurden erreicht, weil die Corona-Pandemie vor allem den Verkehr lahmlegte. In der Zukunft muss Deutschland seine Klimaziele aber ohne derartige Einbrüche erreichen - wobei die Gutachten des Expertenrats wenig Gründe zur Zuversicht liefern.