Israelische Geiseln und Hamas-Kämpfer stehen bei einer Übergabe-Zeremonie auf einer Bühne.

Nach Übergabe-Inszenierungen Israel knüpft Häftlings-Freilassung an Bedingung

Stand: 23.02.2025 10:10 Uhr

Geisel-Übergaben als Propaganda-Shows - die israelische Regierung will das Vorgehen der Hamas nicht mehr hinnehmen. Palästinensische Häftlinge sollen erst dann wieder freigelassen werden, wenn die "demütigenden" Inszenierungen enden.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die ursprünglich für gestern vorgesehene Freilassung weiterer palästinensischer Häftlinge verschoben. Als Bedingung forderte er ein Ende der "demütigenden" Hamas-Inszenierungen bei den Geisel-Übergaben.

Es sei entschieden worden, "die gestrige geplante Freilassung von Terroristen zu verschieben, bis die Freilassung der nächsten Geiseln ohne demütigende Zeremonien sichergestellt ist", teilte Netanjahus Büro mit. Er sprach von "wiederholten Verstößen" der Hamas gegen das Waffenruhe-Abkommen und einem "zynischen Missbrauch der Geiseln zu Propagandazwecken". 

620 Häftlinge - teils mit lebenslangen Haftstrafen

Im Rahmen des geltenden Waffenruhe-Abkommens sollte Israel etwa 620 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freilassen - darunter auch Dutzende Inhaftierte, die wegen schwerer Vergehen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt waren. 

Kurz nach der Geisel-Übergabe der Hamas hieß es jedoch aus israelischen Regierungskreisen, dass am Samstagabend zunächst eine "Sicherheitsberatung" von Ministerpräsident Netanjahu stattfinde, erst danach solle über weitere Schritte entschieden werden.

Ein Hamas-Sprecher kritisierte den Schritt als Vorwand Israels, sich nicht an das Abkommen zu halten. Weiter erklärte er, die Freilassung-Zeremonien der Geiseln seien nicht erniedrigend.

Freilassung von Geiseln als Volksfest inszeniert

Die Terrororganisation Hamas hatte zuvor am Samstag sechs Menschen, die sie seit mehr als 500 Tagen im Gazastreifen in Geiselhaft hielt, freigelassen. Am Morgen übergaben die Islamisten zunächst in Rafah den äthiopisch-stämmigen Israeli Avera Mengistu und den österreichisch-israelischen Doppelstaatler Tal Shoham, später folgte die Freilassung der Israelis Eliya Cohen, Omer Shem Tov und Omer Wenkert in Nuseirat. Eine sechste Geisel, der israelische Beduine Hischam al-Sajed, wurde schließlich in einer nicht öffentlich inszenierten Übergabe freigelassen.

Erneut wurde bei der Freilassung eine große Bühne vor Hunderten Terroristen und Schaulustigen aufgebaut. Zahlreiche Vermummte filmten jeden Schritt der Israelis, ebenso Drohnen in der Luft, um die Tat hinterher propagandistisch auszuschlachten. Die Geiseln wurden von schwer Bewaffneten gezwungen, eine Art "Entlassungsurkunde" zu zeigen und ein Victory-Zeichen zu machen und ins Publikum zu winken. Auch mussten sie sich auf der Bühne öffentlich äußern.

Erst dann wurden sie zu Fahrzeugen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) eskortiert. Das IKRK übergab die Freigelassenen schließlich in israelische Obhut.

Propaganda-Material auf Kindersärgen

Ähnliche Inszenierungen der Hamas bei früheren Geisel-Übergaben waren international auf scharfe Kritik gestoßen. Besonderes Entsetzen hatte am Donnerstag die Übergabe der Leichen der jüngsten Hamas-Geiseln Ariel und Kfir Bibas ausgelöst. 

Die Hamas inszenierte die Übergabe der getöteten Kleinkinder sowie zwei weiterer Leichen in Chan Junis im Süden des Gazastreifens martialisch. Auf einer Bühne reihten die Islamisten vier Särge neben Geschosshülsen auf, daneben standen vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer. An jedem Sarg waren Fotos und Propagandamaterial der Islamisten angebracht.

In einem der Särge waren die sterblichen Überreste von Oded Lifshitz, in zwei weiteren die der Bibas-Kinder. Doch der vierte Sarg enthielt nicht wie angekündigt die Leiche ihrer Mutter Shiri. Stattdessen lag eine nicht bekannte Frauenleiche in dem Sarg. Erst am Freitag erhielt Israel dann vom Roten Kreuz die Nachricht, dass auch der Leichnam von Shiri von der Hamas übergeben worden sei.

Familie: Kleinkinder wurden von Hamas ermordet

Die Familie Bibas erklärte am Samstag, die Brüder und ihre Mutter seien ermordet worden. Details sollen nach dem Willen der Familie nicht veröffentlicht werden. 

Die Gewissheit über den Tod der beiden jüngsten Hamas-Geiseln und die Übergabe einer falschen Leiche lösten in Israel Entsetzen aus. Am Samstag teilte dann der Direktor des Nationalen Instituts für forensische Medizin, Chen Kugel, mit, dass eine Autopsie der sterblichen Überreste von Kfir, Ariel und Shiri Bibas keine Hinweise auf Verletzungen durch einen Bombenangriff ergeben habe - das hatte die Hamas zuvor lange behauptet. 

Hamas zwingt Geiseln, Freilassung anzusehen

Derweil zwang die Hamas am Samstag zwei weitere Geiseln, sich die jüngsten Geisel-Übergaben als Zuschauer aus einem Auto vor Ort anzusehen. In einem von der Islamistengruppe veröffentlichten Propagandavideo sind Evyatar David und Guy Gilboa-Dalal zu sehen, wie sie die Inszenierung aus nächster Nähe verfolgen, während sie selbst weiter in der Gewalt der Terrororganisation sind.

Für die verzweifelten Familien ist die Aufnahme eines der ersten Lebenszeichen seit der Entführung der Männer auf dem Nova-Festival am 7. Oktober 2023. Das israelische Forum der Geisel-Familien kritisierte das Video scharf. "Dieser kalkulierte Akt psychologischer Folter ist ein krasses, abscheuliches Beispiel von Grausamkeit", hieß es in einer Mitteilung.

Auch die Angehörigen reagierten entsetzt: "Sie zwangen sie zuzusehen, wie ihre Freunde freigelassen wurden und brachten sie dann zurück in die Tunnel. Es gibt keine größere Grausamkeit", zitierte die Zeitung Gilboa-Dalals Vater.

Sorge um Phase zwei des Abkommens

Nun fürchten Beobachter, die jüngsten Auseinandersetzungen könnten weitere Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas erschweren - denn eigentlich sollte die erste Phase des Waffenruhe-Abkommens gestern enden.

Ob die zweite Phase, die zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen soll, zustande kommt, ist jedoch ungewiss. Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bislang, anders als vorgesehen, noch gar keine ernsthaften Verhandlungen darüber geführt. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Februar 2025 um 09:00 Uhr.