Boris Pistorius
interview

Pistorius über US-Vize Vance "Das konnte ich nicht unwidersprochen lassen"

Stand: 14.02.2025 20:18 Uhr

Die Aussagen von US-Vizepräsident Vance über Europa seien weder nötig noch hilfreich gewesen, sagt Verteidigungsminister Pistorius in den tagesthemen. Klar sei nun vor allem: Um ernst genommen zu werden, müsse Europa endlich enger zusammenrücken.

tagesthemen: Sie haben die Rede des US-Vize-Präsidenten JD Vance scharf kritisiert. Erleben wir gerade eine transatlantische Zeitenwende?

Boris Pistorius: Nein, das sehe ich nicht so, das glaube ich auch nicht. Und es war auch keine scharfe Kritik an der Rede von Vizepräsident Vance. Es war das, was notwendig war aus der Sicht eines Demokraten in Deutschland, der Mitglied einer demokratisch gewählten Bundesregierung ist.

Ich konnte nicht unwidersprochen lassen, was er wirklich an grob Falschem über die Demokratien in Europa und in Deutschland gesagt hat. Hier gebe es keine Meinungsfreiheit, hier würden Mindermeinungen unterdrückt - das konnte ich unmöglich unwidersprochen lassen. Freunde müssen aushalten, wenn der eine eine Kritik äußert, die falsch ist und die andere Seite dann dagegenhält.

"Weder nötig noch hilfreich"

tagesthemen: Viele hatten mit einer rein sicherheitspolitischen Rede gerechnet. Was war diese Rede von Vance für ein Zeichen - mit ihren ganz anderen Themen: die Meinungsfreiheit, die angeblich in Europa nicht da sei, und dass Europa und Deutschland die Migrationskrise bekämpfen sollten?

Pistorius: Es war eine Rede, die ich so nicht erwartet hatte, die auch eigentlich dorthin nicht gepasst hat, um es deutlich zu sagen. Es ist die Münchner Sicherheitskonferenz.

Es gab wenig Ausführungen von ihm zur Ukraine, zu Russland, zu den Bedrohungen, mit denen wir es zu tun haben, und auch wenig zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik der NATO und Europas. Da hätte ich mir mehr gewünscht. Das ist nicht passiert.

Warum er diesen anderen Teil gemacht hat - diese Frage würde ich ihm auch gerne stellen. Das war weder nötig noch hilfreich. Und deswegen sollten wir schnell zur Tagesordnung oder, besser gesagt, zurück an die Arbeit gehen.

"Abwarten, was wirklich passiert"

tagesthemen: Wir schauen auf die Ukraine: Da machen die USA ordentlich Druck in alle Richtungen, besonders in Richtung Europa. Kann es denn in wenigen Monaten Frieden geben?

Pistorius: Da würde ich etwas auf die Euphoriebremse treten wollen, um ehrlich zu sein. Bislang hat es meines Wissens nicht mehr gegeben, als ein Telefonat Mitte der Woche zwischen Präsident Trump und Wladimir Putin. Danach die Erklärung, dass die Ukraine jetzt wohl doch irgendwie beteiligt werden soll. Mehr haben wir noch nicht. Es gibt kein Datum, keine Struktur der Gespräche. Deswegen sage ich: Abwarten, was tatsächlich passiert.

Aber klar muss eben sein, egal was dort verhandelt wird: Es war sicherlich kein kluger Schachzug, schon vor den Verhandlungen das Thema einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine vom Tisch zu nehmen - und genauso die Frage von territorialen Gebietsveränderungen. Das macht man nicht, das ist nicht klug. Zumal Putin jetzt zwei Dinge bekommt, die ihm unter anderem vor Beginn des Krieges besonders wichtig waren. Er kriegt sie jetzt für nichts. Das ist ein Fehler.

Und gleichzeitig muss es jetzt darum gehen, dass die Ukraine mit am Tisch sitzt - aber natürlich auch die Europäer, in welcher Form auch immer. Denn wenn es am Ende darum geht, - und so ist ja die Forderung - , dass wir Europäer anschließend eine Friedenssicherung gewährleisten sollen, zumindest die Hauptlast dafür tragen, dann kann es niemanden überraschen, dass wir den Anspruch erheben, mit am Tisch zu sitzen. Um überhaupt zu wissen, welche Art von Frieden da entsteht.

"Amerikaner würden an Einfluss verlieren"

tagesthemen: Trump hat bereits gesagt: keine NATO-Mitgliedschaft, keine US-Soldaten, die Ukraine muss Gebiete abtreten. Hat Putin damit eigentlich schon gewonnen?

Pistorius: Vor diesem Eindruck habe ich meinen amerikanischen Amtskollegen Pete Hegseth gestern sehr eindringlich gewarnt. Es kann weder in unserem europäischen Interesse sein, noch im amerikanischen, dass Putin als Sieger aus diesem Krieg, den er völkerrechtswidrig begonnen hat, hervorgeht oder auch nur behaupten kann, er sei der Sieger. Das würde den Einfluss Putins in Europa erhöhen, das Bedrohungspotenzial gleich mit - und die Amerikaner würden dann Einfluss verlieren. Das kann nicht in ihrem Interesse sein.

tagesthemen: Wie kann denn langfristig Frieden für die Ukraine gesichert werden? Wäre eine EU-Mitgliedschaft, die ja auch eine Beistandsverpflichtung beinhaltet, gleichwertig zur NATO-Mitgliedschaft, die es nun wohl nicht geben kann?

Pistorius: Erst mal würde ich die Verhandlungen tatsächlich abwarten - was tatsächlich noch auf den Tisch kommt und was nicht. Aber ja, die EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen hat heute auch sehr deutlich noch einmal unterstrichen, dass jetzt noch einmal Geschwindigkeit beim EU-Beitrittsprozess für die Ukraine aufgenommen werden soll. Das ersetzt natürlich keine NATO-Mitgliedschaft und auch keine umfassenden Sicherheitsgarantien, wäre aber ein wichtiger Schritt. Das wäre es ganz ohne Frage.

"Müssen als Europäer enger zusammenrücken"

tagesthemen: Bei all dem - was kommt konkret auf Deutschland zu?

Pistorius: Es geht weniger um die Frage, was auf Deutschland zukommt. Das ist im Grunde genommen schon die Kernfrage: Wir müssen als Europäer endlich enger zusammenrücken, als wir das zuletzt gemacht haben. Das hat uns schwächer gemacht, das hat uns im politischen Umfeld angreifbarer gemacht.

Und wir müssen endlich dahin kommen zu verstehen, dass wir nur als Europa wahr- und ernst genommen werden, wenn wir uns auch so verhalten. Darum würde ich dringend ersuchen. Und dazu gehört auch, sich zu den Verteidigungsausgaben zu verpflichten, die es jetzt braucht - und zu mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit. An dem Punkt zum Beispiel gibt es keinerlei Dissens zwischen der amerikanischen Administration und uns.

"Erstmal den Nebel sich lichten lassen"

tagesthemen: Sie haben selbst heute Morgen gesagt, es überschlägt sich gerade einiges. Zwischenzeitlich hieß es sogar, dass Vertreter der USA, Ukraine und Russlands sich in München am Rande der Sicherheitskonferenz treffen würden. Haben Sie nach heute mehr Fragen als Antworten?

Pistorius: Ich habe viele Antworten, ich habe aber noch mehr Fragen. So kann man das tatsächlich sagen. Aber ich komme noch mal zurück auf den kühlen Kopf: Heißes Herz ist okay, kühler Kopf ist aber wichtiger - besser als umgekehrt.

Es geht jetzt gerade wirklich darum, mal den Nebel sich lichten zu lassen zwischen all der Kakofonie, die wir gerade erleben. Es gibt jede Stunde fast eine neue Meldung aus irgendeiner Richtung. Das hilft gerade niemandem. Deswegen sollten wir vielleicht wirklich etwas runterfahren und tatsächlich an die Arbeit gehen und nicht ständig über Pressemitteilungen und anderes miteinander kommunizieren.

Das Gespräch führte Helge Fuhst für die tagesthemen. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.