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Polens Verteidigungspolitik Die nervöse Suche nach einer neuen Strategie
Polen hatte seine Sicherheitspolitik bislang ganz auf die USA ausgerichtet. Mit US-Präsident Trump ist das nicht länger möglich. Jetzt muss Warschau sich entscheiden: Trotzdem weiter auf Trump setzen - oder auf Europa?
Am Donnerstag stand Polens Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz auf einem Militärflughafen bei Inowrocław und sagte etwas Bemerkenswertes. Polen hat von den USA neben vielen anderen Waffensystemen auch 96 "Apache"-Kampfhubschrauber gekauft. Weil die aber frühestens 2028 ausgeliefert werden, braucht es eine Übergangslösung. Also sollen vorerst acht "Apache" gemietet werden.
Das passt in die polnische Militärstrategie. Unabhängig davon, wer in Warschau regiert, aufgerüstet wird massiv und seit Jahren - um vorbereitet zu sein, sollte Russland nach den Angriffen auf Georgien und die Ukraine weitere Länder angreifen. Aber nicht nur, stellte Kosiniak-Kamysz fest: "Höhere europäische Verteidigungsausgaben dienen dazu, die Präsenz der amerikanischen Truppen zu halten, nicht sie zu ersetzen."
US-Truppen gelten als Lebensversicherung
US-Truppen in Polen gelten als Lebensversicherung. Je mehr und länger sie da sind, desto besser. Sogar mit einem "Fort Trump" hatte der polnische Präsident Andrzej Duda versucht, Donald Trump in dessen erster Amtszeit als US-Präsident zur festen, nicht nur rotierenden Stationierung von US-Militär zu bewegen - erfolglos. Erst mit der Eröffnung eines US-Abfangsystems für ballistische Raketen vergangenes Jahr bekam Polen zum ersten Mal fest stationierte US-Soldaten.
Mit Trump gerät all das jetzt ins Wanken. Sein Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte Mitte Februar bei einem Besuch in Warschau, US-Soldaten würden nicht ewig in Europa bleiben. Jetzt ist man in Warschau nervös auf der Suche nach einer Strategie.
Unabhängigkeit als wichtigste Aufgabe des Staates
Polen hat nach dem Ende des Warschauer Pakts seine Sicherheitspolitik auf die USA ausgerichtet. Der Beitritt zur EU 2004 war wichtig, dringender aber war die Aufnahme in die NATO 1999 und damit in den Sicherheitsbereich der USA.
Die russische Führung in Moskau hatte schon 1994 mit dem ersten Tschetschenienkrieg gezeigt, dass sie auch nach dem Zerfall der Sowjetunion bereit war, den Anspruch auf Vorherrschaft in ihrer vermeintlichen Einflusszone mit brachialer Gewalt durchzusetzen.
Im Polen der Nachwendejahre gab es also vor allem ein politisches Ziel: sich in Sicherheit zu bringen. Bis heute erklärt der polnische Präsident Duda regelmäßig, die Unabhängigkeit der polnischen Nation sei die wichtigste Aufgabe des Staates. Alle anderen Politikfelder müssten sich dahinter einreihen, denn "ohne Unabhängigkeit ist alles nichts".
Folgerichtig wird Polen in diesem Jahr mit 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr Geld in die Verteidigung stecken als jedes andere NATO-Land - um sich verteidigen zu können und um die USA in Europa zu halten.
Demütigung auf offener Bühne
Wie also umgehen mit Trump? Duda versuchte es mit Annäherung. Trump mag ja Europa kritisieren, so das Kalkül. Solange er Polen schätzt, sei das Land sicher.
Also flog Duda vergangene Woche kurzfristig in die USA, um Trump zu treffen. Der PiS-nahe Fernsehsender TV Republika durfte live dabei sein. So sah man fast anderthalb Stunden lang, wie Trump den polnischen Präsident warten lässt. Es war eine Demütigung auf offener Bühne. Zehn Minuten widmete Trump seinem Gast am Ende.
Duda berichtete im Anschluss, niemand habe "auch nur im Geringsten angedeutet, dass es zu einer Schwächung der amerikanischen Präsenz in Polen kommen könnte". Vielleicht, so Duda, kämen sogar zusätzliche Soldaten. Eine verlässliche Zusicherung ist das nicht.
Regierung setzt auf europäisches Selbstbewusstsein
Die polnische Regierung um Donald Tusk setzt derweil auf europäisches Selbstbewusstsein und klare Ansagen. Am dritten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, erinnerte Polens Außenminister Radosław Sikorski in der UN-Vollversammlung an die gemeinsame klare Haltung vor drei Jahren.
Heute sehe das anders aus, so Sikorski. "Nicht, weil sich die Fakten geändert hätten, sondern aus Eigeninteresse. Manche unserer Mitgliedstaaten scheinen jetzt zu glauben, dass sich ein Ende des Krieges um jeden Preis und die Rückkehr zum Tagesgeschäft mit Russland bezahlt machen wird."
Wer Russland seine Sicherheit anvertraue, werde dabei aber immer verlieren, sagte Sikorski. Noch am selben Tag stimmten die USA für eine UN-Resolution ohne jede Kritik an Moskau - gemeinsam mit Russland und Nordkorea.
Polen vor einem Dilemma
Tusk selbst erklärte am Donnerstagabend im polnischen Fernsehsender TVN24, Trump sei ein viel schwierigerer Partner als jeder andere US-Präsident vor ihm, da dürfe es keine Illusionen geben: "Wir müssen anerkennen, dass Präsident Trump diese und keine andere Sicht auf die Welt und Europa hat."
Er unterstütze also das Vorgehen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, "also ohne Illusionen, mit einer klaren Artikulation und Definition der eigenen Interessen." Trump sei nicht das Ende der Welt, so Tusk. Aber Polen dürfe sich nicht der Illusion hingeben, in der neuen Ordnung noch Liebling zu sein.
Wenn Europa selbst für die eigene Sicherheit Verantwortung übernehme, wenn auch die neue deutsche Bundesregierung mitziehe, so Tusks Appell seit langem, dann werde das Trump am ehesten zur weiteren Zusammenarbeit bewegen.
Diese Zweigleisigkeit zwischen Präsident Duda und Tusks Regierung war auch und gerade nach dem Eklat zwischen Trump und Selenskyj in Washington zu beobachten. Wären Donald Tusk in den sozialen Medien mitteilte, Selenskyj und das ukrainische Volk seien nicht alleine, fordert Duda den ukrainischen Präsidenten auf, zu Verhandlungen mit Donald Trump zurückzukehren.
Warschau steht vor einem Dilemma. Soll man weiter auf Trump setzen und sich dafür verbiegen? Oder selbstbewusst verhandeln, Kritik üben, möglicherweise um den Preis des US-amerikanischen Beistands? Im Moment versucht Polen beides.