Olaf Scholz

Migrationsdebatte im Bundestag "Ich bin die Nebelkerzen leid"

Stand: 29.01.2025 16:42 Uhr

Seit dem Messerangriff von Aschaffenburg wird über die Migrationspolitik gestritten. Im Bundestag warf Scholz den bayrischen Behörden Fehler vor. Scharfe Kritik an der Regierungspolitik übte CDU-Chef Merz.

Bundeskanzler Olaf Scholz sieht in der Migrationspolitik erhebliche Defizite bei der Anwendung bereits geltender Gesetze und hat Bayern wegen der Tat in Aschaffenburg Fehler vorgeworfen. "Ich bin die Nebelkerzen leid, die nach solchen Straftaten geworfen werden, um eigene Missstände zu kaschieren", sagte der SPD-Politiker im Bundestag in einer Regierungserklärung zur Migrationsdebatte.

Es sei irritierend, "wie sich die bayrische Staatsregierung aus der Affäre ziehen will, indem sie mit dem Finger auf andere zeigt, anstatt zu fragen: Was ist eigentlich hier bei uns schiefgegangen, hier bei uns in Bayern? Denn es sind Dinge schiefgelaufen im Freistaat Bayern", sagte Scholz. Er erwarte, dass Gesetze überall konsequent angewandt würden. Asylverfahren seien gestrafft worden, damit Behörden schneller entscheiden könnten.

"Ich bin empört, wenn Behörden in Bund und in den Ländern und den Kommunen nicht alles tun, was rechtlich möglich ist. Deshalb sage ich bewusst: Wir haben ein Vollzugsdefizit", sagte Scholz. "Denn alle vier Straftaten in Mannheim, in Solingen, in Magdeburg und in Aschaffenburg hätten mit den bestehenden und von uns verschärften Gesetzen verhindert werden können."

"Wichtige Vorschläge liegen entscheidungsreif im Bundestag"

Scholz rief zudem die Fraktionen des Bundestags dazu auf, vorliegende Regierungsvorhaben in der Sicherheits- und Asylpolitik zu unterstützen. "Wichtige Vorschläge zur Stärkung der inneren Sicherheit liegen entscheidungsreif hier im Bundestag und im Bundesrat", sagte der Kanzler. Sie könnten noch diese Woche auf den Weg gebracht werden. 

Seitdem ein ausreisepflichtiger Afghane vergangenen Mittwoch in Aschaffenburg ein Kleinkind und einen Mann erstochen hat, dreht sich der Bundestagswahlkampf vor allem um das Thema Migration. Der Tat ging eine Reihe anderer Attacken voraus, bei denen ebenfalls Ausländer unter Tatverdacht stehen. Daraufhin kündigte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) Pläne für härtere Migrationsregeln an, mit denen sich nun der Bundestag befasst.

Scholz spricht Merz Regierungsfähigkeit ab

Vor der Abstimmung über die Unionspläne warf Scholz Merz mit scharfen Worten vor, die klare Abgrenzung zu rechtsextremen Parteien aufzugeben. "Sie nehmen die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf", rief er dem Oppositionsführer in seiner Regierungserklärung zu. Es sei die Unterstützung derer, "die unsere Demokratie bekämpfen, die unser vereintes Europa verachten, die das Klima in unserem Land seit Jahren immer weiter vergiften". Dies sei ein "unverzeihlicher Fehler".

Die Vorschläge der Union zur Migrationspolitik nannte Scholz rechtswidrig und sprach Merz die Regierungsfähigkeit ab, weil er solche Vorschläge mache. "Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten", sagte er. "Politik in unserem Land ist doch kein Pokerspiel. Der Zusammenhalt Europas ist kein Spieleinsatz. Und ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein. Denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden."

Merz verteidigt mögliche Abstimmung mit der AfD

Merz verteidigte in seiner Rede die Entscheidung, bei der Abstimmung über die Unionsanträge notfalls auch auf die AfD zu setzen, mit dringend nötigem Handlungsbedarf. "Es kann sein, dass die AfD hier im Deutschen Bundestag am Freitag erstmalig die Mehrheit für ein notwendiges Gesetz ermöglicht", sagte der Unionskanzlerkandidat in seiner Antwort auf Scholz. Er fügte hinzu: "Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig."

"Die Bilder, die wir gegebenenfalls von jubelnden und feixenden AfD-Abgeordneten sehen, die werden unerträglich sein. Und der Gedanke schon daran bereitet mir jetzt größtes Unbehagen", sagte Merz. Die Demokratie gerate aber auch in Gefahr, wenn eine gesellschaftliche und politische Minderheit "die Radikalen als Werkzeug benutzt, um den Willen der Mehrheit der Bevölkerung dauerhaft zu ignorieren", kritisierte Merz SPD und Grüne. Die Union werde sich von beiden Parteien nicht mehr sagen lassen, "was wir zu tun und was wir nicht zu tun haben". 

Habeck warnt vor "Weg in den Abgrund"

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck sieht den Umgang mit den Unionsplänen zur Verschärfung des Migrationsrechts als Wegscheide. Es werde dabei nicht irgendeine Sachfrage entschieden, vielmehr werde die politische Mitte Deutschlands verhandelt, sagte der Vizekanzler in der Bundestagsdebatte. Er sprach von einem Schicksalstag. 

An Merz gewandt sagte Habeck: "Lieber Herr Merz, ich glaube Ihnen die Betroffenheit, das Engagement und den Einsatz für Sicherheit in Deutschland." Aber auch ein Kanzler stehe nicht über dem Recht. Merz hatte für den Fall seiner Wahl sofortige Verschärfungen angekündigt. "Auch das Ausweichen auf das Gewissen entbindet nicht von politischer Verantwortung", warnte Habeck. 

Habeck stellte in Aussicht, die Union könne künftig auch in anderen Fragen mit der AfD abstimmen und warnte vor einem Bündnis mit Rechtspopulisten. Es entkräfte seine Argumente, wenn dieser mit "Rassisten" abstimme, sagte Habeck zu Merz. Er forderte entschlossenes Handeln, unter anderem die vorrangige Abschiebung nicht-deutscher Gefährder. Er warnte, in der Sache folge die Union der Logik, Recht brechen zu wollen, um Recht zu verändern. "Das ist der steile Weg in den Abgrund."

Weidel wirft Scholz autoritäres Denken vor

Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel wandte sich sowohl gegen Scholz als auch gegen Merz. Die Regierungserklärung nannte sie "ungeheuerlich" und warf Scholz autoritäres Denken vor. "Das ist Demokratie ohne Volk, das ist Demokratie ohne Wähler", sagte sie.

Die Migrationspolitik der Regierung nannte Weidel einen "politisch motivierten Kontrollverlust". Die sogenannte Brandmauer gegen die AfD sei ein Hebel, um den Wählerwillen auszuschließen. Der Union warf Weidel vor, die Vorschläge zur Eindämmung der Migration von der AfD abgeschrieben zu haben.

Lindner sieht Notwendigkeit für Kurswechsel

FDP-Chef Christian Lindner warnte hingegen vor Schaden für die Demokratie, wenn in der Migrationspolitik kein Kurswechsel vollzogen werde. "Kontrolle und Begrenzung der Einwanderung nach Deutschland ist ein Anliegen der politischen Mitte. Wir dürfen es den Rändern nicht überlassen", sagte Lindner im Bundestag.

Er warf SPD und Grünen vor, sich gegen einen nötigen Richtungswechsel zu stellen. "Es ist im Interesse der Stabilität unserer Demokratie, die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Denn wenn die Demokratie hier nicht liefert, dann suchen sich die Menschen im Zweifel eine autoritäre Alternative zur Demokratie", sagte Lindner. "Und dazu darf es nicht kommen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 29. Januar 2025 um 17:00 Uhr.