Bundestagswahl 2025

Migranten gehen über das Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt.
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Anträge im Bundestag Worum es im Streit um Migrationspolitik geht

Stand: 29.01.2025 12:01 Uhr

Heute gibt es wohl eine Abstimmung über zwei Anträge der Unionsfraktion, um die Gesetzgebung zur Migration zu verschärfen. Was hat sie vorgelegt? Wer stimmt wie ab? Was hat es mit der "Brandmauer" auf sich? Ein Überblick.

Kurz vor der Bundestagswahl eskaliert die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung um den richtigen Kurs in der Migrationspolitik erneut. Auslöser sind mehrere tödliche Angriffe, zuletzt in Aschaffenburg, bei denen die Tatverdächtigen Zuwanderer sind. Die Union will deshalb noch vor der Bundestagswahl Gesetze zu Migration und Asyl verschärfen.

Welche Anträge reicht die Union heute ein?

"Fünf-Punkte-Plan"

Der erste Antrag verlangt "dauerhafte Grenzkontrollen" zu den Nachbarstaaten sowie die "Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise". Dies soll auch für Asylsuchende gelten. Wer vollziehbar ausreisepflichtig ist, soll "unmittelbar in Haft" kommen, Abschiebungen müssten "täglich" und auch wieder nach Syrien und Afghanistan stattfinden. Für Straftäter und Gefährder verlangen CDU/CSU "zeitlich unbefristeten Ausreisearrest". Die Bundespolizei soll die Befugnis erhalten, selbst Haftbefehle für Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen.

"Politikwechsel bei der inneren Sicherheit"

Im zweiten Antrag verlangt die Union einen "Politikwechsel bei der inneren Sicherheit". Zu insgesamt 27 Forderungen gehören eine Stärkung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden, darunter die Speicherung von IP-Adressen für drei Monate und der verstärkte Einsatz von elektronischer Gesichtserkennung. Hinzu kommen weitere Forderungen im Migrationsbereich, etwa das Ende des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte - also für Menschen, die kein Asyl erhalten, aber aus anderen Gründen vorerst in Deutschland bleiben dürfen.

Welche weiteren Pläne gibt es?

Die FDP-Fraktion will heute einen eigenen Antrag stellen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Wir werden einen Antrag in die Debatte einbringen, der deutlich über die Vorschläge der Union hinausgeht, etwa indem wir die Entwicklungshilfe an Rückführungsvereinbarungen knüpfen und straffällige Ausreisepflichtige direkt festgesetzt werden."

Die Union will am Freitag dann über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz abstimmen lassen. Das schon im September in erster Lesung behandelte Gesetz drei wesentliche Punkte: Im Aufenthaltsgesetz soll die Begrenzung der Migration als Ziel festgeschrieben werden; der Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige soll eingestellt werden; und die Bundespolizei soll die Befugnis bekommen, selbst Haft oder Gewahrsam für Ausreisepflichtige zu beantragen. 

Die SPD will ihrerseits eine Abstimmung über die Reform des Bundespolizeigesetzes. Außerdem will sie erstmals die nationale Umsetzung der EU-Asylreform und eine Reihe von zusätzlichen Befugnissen für die Sicherheitsbehörden auf die Tagesordnung setzen.

Die Grünen werben erneut darum, die Voraussetzung für das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu schaffen. Es sieht unter anderem Asylverfahren für Menschen aus Staaten mit niedriger Schutzquote an den EU-Außengrenzen vor.

Wer könnte den einzelnen Vorschlägen zustimmen?

Notwendig ist in jedem Fall eine einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das heißt, es müssten mehr Ja- als Nein-Stimmen abgegeben werden. Enthaltungen werden dabei nicht gezählt.

Die Union beabsichtigt nach Angaben aus Fraktionskreisen, heute eine Sofortabstimmung über ihre Anträge zu beantragen. Auch dafür reicht eine einfache Mehrheit. Auf Stimmen der FDP kann sie zumindest bei dem Antrag zählen, in dem es um eine Verschärfung der Migrationspolitik geht. Den anderen Antrag lehnt die FDP-Fraktion wegen der ihrer Ansicht nach zu großen Eingriffe in die Bürgerrechte ab.

Die AfD-Fraktion hatte gestern mitgeteilt, beiden Anträgen zuzustimmen. Parteichef Tino Chrupalla hatte das mit den Inhalten der Anträge begründet: Das seien Forderungen, die die AfD seit Jahren stelle.

Nun will sie offenbar nur für den Fünf-Punkte-Plan stimmen. Chrupalla sagte dem Tagesspiegel, der Antrag zur inneren Sicherheit enthalte Punkte, durch die die Grundrechte deutscher Bürger eingeschränkt werden könnten. Außerdem würden "außenpolitische Maßnahmen der CDU/CSU einen baldigen Frieden in Europa verhindern".

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat sich festgelegt: Die zehn BSW-Abgeordneten wollen sich bei der Abstimmung über den Fünf-Punkte-Plan von Unionskanzlerkandidat Merz am Nachmittag enthalten. Den Antrag mit 27 Punkten zur inneren Sicherheit bezeichnete Wagenknecht am Dienstag bereits als "für uns auf keinen Fall zustimmungsfähig".

Das "Zustrombegrenzungsgesetz", über das am Freitag abgestimmt wird, wollen BSW und AfD und auch die FDP unterstützen. Sollte es bei CDU/CSU, FDP, AfD und BSW am Ende keine Abgeordneten geben, die sich enthalten, dagegen stimmen oder nicht anwesend sind, käme man bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf zusammen auf 372 Stimmen. Der Bundestag hat aktuell 733 Abgeordnete. Es würde also reichen.

Sollten nicht alle Abgeordneten dieser Parteien mit Ja stimmen, käme es womöglich auf das Abstimmungsverhalten der neun Fraktionslosen an. Die meisten von ihnen gehörten früher der AfD-Fraktion an. Sie könnten auch dem Migrationsantrag zum Erfolg verhelfen.

Die Initiativen von SPD und Grünen dürften vermutlich keine Mehrheit finden. Die Gruppe Die Linke plant, keinem Vorhaben zuzustimmen.

Würde sich auch praktisch etwas ändern?

Das ist möglich, wenngleich nicht sehr wahrscheinlich. Denn die Anträge, die nach dem Willen der Union am Mittwoch auf der Tagesordnung stehen sollen, haben lediglich appellativen Charakter.

Anders ist es mit dem Gesetzentwurf, mit dem sich der Innenausschuss im November befasst hatte und der nach bisheriger Planung am Freitag abschließend im Plenum beraten werden könnte. Da der Entwurf vorsieht, die Kompetenzen der Bundespolizei auszuweiten und das die Interessen der Länder berührt, müsste der Bundesrat zustimmen. Ob dies geschieht, ist zumindest fraglich. In schwarz-grünen Landesregierungen dürfte es in jedem Fall Diskussionen auslösen.

Gibt es rechtliche Bedenken?

Ja. Und zwar vor allem gegen einige Punkte, die in den beiden Anträgen enthalten sind - etwa die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft und generelle Zurückweisungen. Allerdings gibt es unter Fachleuten zu beiden Fragen unterschiedliche Meinungen.

Bei den Zurückweisungen setzt die Union womöglich aber auch auf die Macht des Faktischen. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung könnte entsprechende Maßnahmen erst einmal umsetzen und dann schauen, ob eine etwaige Klage dagegen vor einem Verwaltungsgericht beziehungsweise dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Erfolg hat.

Müsste die jetzige Bundesregierung das Gesetz umsetzen?

Wenn der Bundesrat zustimmen sollte, ja. Der Bundesrat dürfte allerdings - wenn keine Fristverkürzung beschlossen wird - erst nach der Bundestagswahl über den Entwurf entscheiden. Dann müsste der Bundespräsident das Gesetz noch unterzeichnen.

Entscheidend ist die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Da nach der Wahl erst einmal Sondierungen und Koalitionsverhandlungen anstehen, könnte es theoretisch sein, dass die rot-grüne Regierung dann noch als amtierende Bundesregierung handeln müsste.

Warum gibt es Kritik am Vorgehen der Union?

Merz nimmt die Zustimmung der AfD zu den Anträgen beziehungsweise dem Gesetzentwurf in Kauf. "Wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt", sagte er. "Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus."

Die AfD wiederum hat ihr Werben für eine Zusammenarbeit mit der Union nun noch einmal verstärkt. Die Partei jubelt schon über das Ende der "Brandmauer".

Wie kam es zum Wort "Brandmauer" in Verbindung mit der AfD?

Wer den Begriff zuerst in diesem Zusammenhang benutzt hat, lässt sich nur schwer nachvollziehen, aber schon 2014 - ein Jahr nach Gründung der damals vor allem Euro-kritisch auftretenden Partei - nutzte ihn der damalige CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Die AfD zog in Sachsen zum ersten Mal in ein Landesparlament ein, und Scheuer sagte zur Frage einer Zusammenarbeit, in diesem Punkt gebe es eine "Brandmauer".

Der Begriff wurde später auch von anderen Parteien genutzt, um eine Zusammenarbeit auszuschließen. 2018 etwa nach den Ausschreitungen von Chemnitz, sagte Grünen-Politiker Cem Özdemir, man müsse eine "Brandmauer in Richtung AfD errichten".

Und wie geht CDU-Chef Merz damit um?

Merz hatte im Dezember 2021 dem "Spiegel" gesagt: "Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben." Im vergangenen Herbst, als Sachsens Ministerpräsident, CDU-Politiker Michael Kretschmer, im Zuge der Landtagswahlen im Osten empfahl, vom Begriff der "Brandmauer" Abstand zu nehmen, weil die Partei ihn für sich nutze und sich als Märtyrerin darstelle, sagte Merz: "Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden."

Die AfD hält Merz das Wort immer wieder vor, um die Union unter Druck zu setzen. Sie argumentiert mit ihren Wahlerfolgen und dass sich vor diesem Hintergrund die strikte Abgrenzung nicht mehr lange werde durchhalten lassen.

Wie begründet die CDU ihre Ablehnung einer Zusammenarbeit?

Es ist ihre offizielle Beschlusslage. Auf ihrem Parteitag in Hamburg 2018 hatten die Christdemokraten festgehalten: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."

Merz hatte vor Kurzem in den tagesthemen bekräftigt: "Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält, eine Partei, die mit Russland liebäugelt und aus der NATO und der Europäischen Union austreten will." Er stehe mit seinem Wort dafür, halte das und knüpfe sein Schicksal als Parteivorsitzender an diese Antwort.

Wem nutzt die aktuelle Debatte im Wahlkampf?

Das ist noch offen. Umfragen zeigen, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Migrationspolitik aktuell als Problemfeld begreifen. Dass die Union jetzt hier noch einmal den Druck erhöht, mag - ebenso wie der Inhalt ihrer Vorschläge - einigen Wählern gefallen.

Jedoch könnte die Ansage ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, die eigenen Vorstellungen notfalls auch mit Stimmen von AfD und BSW durchzusetzen, andere Wähler verschrecken. Die Grünen glauben, Merz sei hier in eine Falle getappt, die ihm die AfD-Vorsitzende Alice Weidel gestellt habe - mit dem Ziel, den Anschein zu erwecken, die AfD sei nicht radikal, sondern eine rechtskonservative Partei und somit Teil des demokratischen Spektrums.

Was tun die zuständigen Innenminister von Bund und Ländern?

Die Gewalttaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg zeigen, dass es Handlungsbedarf gibt, wenn es darum geht, Menschen, die durch Drohungen beziehungsweise Gewalttaten auffallen, nicht aus dem Blick zu verlieren. In einer Videokonferenz haben die Innenminister von Bund und Ländern am Montag Konsequenzen im Umgang mit psychisch kranken Straftätern in Aussicht gestellt.

Mutmaßliche Täter müssten frühzeitig erkannt und Informationen unter den Behörden besser ausgetauscht werden, sagte hinterher Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, der aktuell Vorsitzender der Innenministerkonferenz (IMK) ist. Auch der Innenausschuss des Bundestages beschäftigt sich an diesem Mittwoch zum wiederholten Mal mit der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass potenzielle Gewalttäter ohne deutschen Pass rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen beziehungsweise außer Landes gebracht werden können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 28. Januar 2025 um 22:15 Uhr.