ARD-DeutschlandTrend Oktober 2009 Keine Angst vor sozialer Kälte
Schwarz-Gelb ist das richtige Bündnis für Wirtschaftswachstum - der Meinung waren sieben von zehn Befragten im ARD-DeutschlandTrend Oktober. Nur jeder Fünfte befürchtet soziale Ungerechtigkeit - genauso viele Bürger erwarten jetzt mehr Gerechtigkeit. Und sie wollen vor allem mehr Geld für Bildung.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Nie zuvor haben die Deutschen am Wahltag das Parteiensystem derart durcheinander gewirbelt, nie zuvor haben sie für so viele Rekordergebnisse gesorgt, im positiven wie im negativen Sinne. Aber der ARD-DeutschlandTrend Oktober macht klar: Die Wählerinnen und Wähler wussten ganz genau, was sie taten. Egal, ob es um den 23-Prozent-Denkzettel für die SPD geht oder um die solide schwarz-gelbe Mehrheit: Sie spiegeln wider, was die Wähler im Sinn hatten.
95 Prozent der Befragten geben an, dass sie heute wieder genau so entscheiden würden wie am vorvergangenen Sonntag - in genauer Kenntnis des Wahlergebnisses. Deshalb gibt es in der Sonntagsfrage auch keine nennenswerten Abweichungen zum Wahlergebnis. Die Union bleibt bei 34 Prozent, die SPD bei 23 Prozent, die FDP bei 14 Prozent. Nur bei der Linkspartei gibt es eine kleine Korrektur nach oben auf 13 Prozent, und die Grünen liegen bei 11 Prozent. Infratest dimap hat wie immer von Montag bis Mittwoch dieser Woche 1.500 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte bundesweit befragt.
Während aus Gewerkschaften, Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen davor gewarnt wird, mit der neuen schwarz-gelben Koalition könnte in Deutschland soziale Kälte einziehen, sind die Wähler selbst ziemlich gelassen. Nur eine Minderheit von 21 Prozent teilt die Befürchtung, dass es künftig in Deutschland ungerechter zugehen wird, ungefähr genauso viele (22 Prozent) rechnen mit einer Politik für mehr Gerechtigkeit. Die große Mehrheit (54 Prozent) erwartet überhaupt keine wesentlichen Änderungen auf dem Feld der sozialen Gerechtigkeit nach dem Regierungswechsel.
Wie gerecht wird es mit einer Koalition aus Union und FDP zugehen?
Thema Wirtschaftswachstum steht ganz oben
Während in Berlin die Koalitionsverhandlungen laufen, machen die Ergebnisse des DeutschlandTrends noch einmal deutlich, warum Union und FDP den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen haben. Die Befragten haben eine sehr klare Vorstellung davon, was das neue Bündnis besser leisten kann als die bisherige Regierung und wo man die Erwartungen zurückschrauben muss.
Ganz oben steht das Thema Wachstum: 68 Prozent gehen davon aus, dass Schwarz-Gelb das richtige Bündnis ist, um für neues Wirtschaftswachstum zu sorgen. Nur 28 Prozent sehen das nicht so. Mehrheitlich glauben die Deutschen außerdem, dass die mutmaßliche neue Regierung die richtige ist, um die Folgen der Wirtschaftskrise zu bewältigen (58 Prozent), für bessere Bildungschancen zu sorgen (57 Prozent) und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung zu sorgen (52 Prozent). Auf diesen Politikfeldern gibt es also einen regelrechten Vertrauensvorschuss.
Vertrauen in die Wirtschaftskompetenz der künftigen Regierung, Befürchtungen hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit wird nicht erwartet
Dem stehen andere gesellschaftliche Aufgaben gegenüber, bei denen sich die Wähler nicht allzu viel von der neuen Regierung versprechen. So glaubt vor allem eine Mehrheit, CDU/CSU und FDP seien nicht die Richtigen, um für angemessene Löhne zu sorgen (55 Prozent), und nicht die richtige Regierung, um für soziale Gerechtigkeit zu sorgen (53 Prozent). Die klare Zuordnung von Stärken und Schwächen macht aber auch klar, welche Prioritäten bei der Wahl am 27. September gegolten haben. Die Mehrheit wollte vor allem eine Regierung mit Wirtschaftskompetenz und hat dafür in Kauf genommen, dass sich die Regierung möglicherweise weniger in sozialen Fragen engagieren wird.
Spitzentrio zu Guttenberg, von der Leyen, Westerwelle
Mehr als ein Dutzend Namen werden gegenwärtig in Berlin gehandelt, wenn es um die Besetzung der Kabinettsposten geht. Drei Politikerinnen und Politiker wollen die Befragten auf jeden Fall am neuen Kabinettstisch sehen: Zuallererst den bisherigen Wirtschaftsminister zu Guttenberg. 75 Prozent wünschen sich, dass er Minister bleibt. Ähnlich gut ist der Wert für Ursula von der Leyen (68 Prozent), nur ganz knapp dahinter liegt aber auch Guido Westerwelle (67 Prozent). Die drei bilden eindeutig das Spitzentrio.
Immerhin 52 Prozent wünschen sich Wolfgang Schäuble als Minister (44 Prozent wollen ihn nicht). Die deutlichste Ablehnung unter den Befragten erfährt der hessische Ministerpräsident Roland Koch: 52 Prozent wollen nicht, dass er Minister wird, 38 Prozent sähen ihn gerne im Kabinett.
Mehrheit sieht CSU und FDP nicht harmonisch
Fraglich ist für die Wähler, wie friedlich es wohl im neuen Dreiparteien-Bündnis zwischen CDU/CSU und FDP zugehen wird. Sprengstoff sehen die Befragten im Verhältnis von CSU und FDP. 51 Prozent finden, die beiden Parteien passen nicht gut zusammen (38 Prozent: passen gut zusammen). Keine Sorge machen sich die Deutschen dagegen um CDU und CSU (76 Prozent: passen gut zusammen) sowie um CDU und FDP (70 Prozent: passen gut zusammen).
Geld soll für Bildung ausgegeben werden
Den allergrößten Dissens gibt es aber offenbar nicht zwischen den Koalitionären, sondern zwischen Wählern und Gewählten - und zwar darüber, wo in der nächsten Legislaturperiode finanzielle Akzente gesetzt werden sollen. Während an den Verhandlungstischen in Berlin vor allem über Steuererleichterungen gesprochen wird, haben die Befragten ganz andere Vorstellungen: "Wenn es trotz aller Schulden im Bundeshaushalt noch Geld gäbe für ein besonders wichtiges Ziel, wofür würden Sie das Geld ausgeben?" haben wir gefragt.
Von sechs vorgegebenen Feldern nennen 35 Prozent als Priorität die Förderung von Schulen und Hochschulen. 24 Prozent finden es am wichtigsten, Gesundheit und Pflege bezahlbar zu halten. Im Mittelfeld rangieren "Eltern bei der Kindererziehung zu unterstützen" (13 Prozent) und "die Renten stabil zu halten" (13 Prozent). Schlusslichter sind die "stärkere Unterstützung von sozial Schwachen" (9 Prozent) und Steuersenkungen (6 Prozent).
Wenn die Koalitionäre in Berlin also tatsächlich noch nach einem Motto und nach einer großen Richtung für die nächsten vier Jahre suchen, dann sollten sie auf diese Umfragezahlen schauen: Das Bedürfnis, dass endlich nicht mehr nur über Bildung geredet, sondern dass tatsächlich mehr Geld in Schulen und Hochschulen gesteckt wird, ist unübersehbar.
SPD soll eine neue Sozialpolitik entwickeln
Bleibt zum Schluss noch der Blick auf den Wahlverlierer. So wie die Medien machen sich auch die Befragten Gedanken über die Situation der SPD. Dass sie das Wahlergebnis von 23 Prozent für gerechtfertigt halten, zeigt allein die Tatsache, dass auch diese Woche die SPD nicht mehr Zustimmung erfahren würde. Deshalb wollten wir wissen, was die SPD denn jetzt tun könne, um bei künftigen Wahlen wieder mehr Zustimmung zu gewinnen.
Mit weitem Abstand ganz oben stehen die beiden Themen, die wir schon bei der Analyse der Wahlergebnisse als Hauptursachen für das Desaster ausgemacht hatten. 76 Prozent wünschen sich, dass die SPD einen Schlussstrich unter Hartz IV zieht und eine neue Sozialpolitik entwickelt. Und 73 Prozent erwarten, dass sie sich dafür einsetzt, dass die Rente mit 67 nicht - wie geplant - eingeführt wird.
Ein weiterer Punkt allerdings fällt auf: Eine Mehrheit von 57 Prozent glaubt, die SPD müsse sich mehr um Menschen kümmern, die arbeiten, als um die, die nicht arbeiten. Zur Erinnerung: Bei der Bundestagswahl Ende September waren die Verluste der SPD in der Gruppe der Angestellten und in der Gruppe der Arbeiter bei weitem am höchsten. Hier also liegt eine Erwartung der Wähler, die die SPD ernst nehmen sollte: Sie steht nicht mehr im Ruf, sich in erster Linie um die Menschen zu kümmern, die von ihrer Arbeit leben müssen.
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 5. bis 6. Oktober 2009
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 5. bis 7. Oktober 2009
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte