Friedrich Merz

Anträge zur Migration im Bundestag Nimmt Merz AfD-Unterstützung in Kauf?

Stand: 24.01.2025 18:09 Uhr

Die Union will im Bundestag Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einbringen. Setzt CDU-Chef Merz dabei auf Stimmen der AfD? Kanzler Scholz warnt Merz vor dem Bröckeln der Brandmauer, AfD-Chefin Weidel sieht sie als längst gefallen an.

Die Unionsfraktion will nach der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg kommende Woche im Bundestag Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einbringen. "Wir werden nächste Woche in den Deutschen Bundestag Anträge einbringen, die ausschließlich unserer Überzeugung entsprechen", sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz.

Er fügte hinzu: "Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt." Damit nimmt Merz in Kauf, dass eine Mehrheit für die Anträge mit Stimmen der AfD-Abgeordneten zustande kommt. Das wäre ein Präzedenzfall im Bundestag.

Der CDU-Chef, der Kanzlerkandidat der Union ist, betonte: "Wir stimmen keinem einzigen AfD-Antrag zu, weil wir sämtliche Themen, die wir für richtig halten, von uns aus in den Bundestag einbringen." Merz ergänzte: "Wer diesen Anträgen zustimmen will, der soll zustimmen. Und wer sie ablehnt, der soll sie ablehnen. Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus."

"Wir arbeiten mit dieser Partei nicht zusammen"

Seine Haltung zur AfD sei und bleibe klar, sagte Merz: "Wir arbeiten mit dieser Partei nicht zusammen." Dies bedeute erstens: "Wir gehen mit denen nicht zusammen in eine Regierung. Zweitens: Wir verhandeln mit denen im Deutschen Bundestag nicht über irgendwelche Anträge." Dies gelte auch für das BSW von Sahra Wagenknecht.

AfD-Chefin Alice Weidel hatte Merz auf der Plattform X eine Zusammenarbeit bei der Migrationsfrage angeboten. "Die kommende Sitzungswoche im Deutschen Bundestag bietet dafür eine Gelegenheit, die nicht ungenutzt verstreichen darf", schrieb sie. Der von Merz am Donnerstag angekündigte migrationspolitische Kurswechsel sei ein gutes Zeichen.

Frei: "Vergiftetes Angebot der AfD"

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, nannte das ein "vergiftetes Angebot". Die Union werde dafür Sorge tragen, "die Migrationspolitik grundsätzlich neu auszurichten und die illegale Zuwanderung drastisch zu senken", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Dafür bedarf es nicht der vergifteten Angebote der AfD."

Mit FDP, AfD und BSW hätte die Union eine Mehrheit

Um im aktuellen Bundestag auf eine Mehrheit zu kommen, wäre die Union auf die Zustimmung mehrerer Parteien angewiesen - allein die Zustimmung der in Teilen rechtsextremen AfD würde nicht reichen. Würden allerdings zusätzlich auch die Abgeordneten von FDP und BSW für die Anträge der Union stimmen, käme eine Mehrheit zustande.

Das BSW ist grundsätzlich migrationskritisch und auch aus der FDP kamen Signale der Zustimmung für Merz' Vorschläge. Eine neue Migrationspolitik sei "die Bedingung für jede Regierungsbeteiligung", so FDP-Chef Christian Lindner gestern.

Zu Frage, was eine Zustimmung der AfD bedeuten würde, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki heute dann der Bild-Zeitung: "Mir doch Latte, wer da sonst noch zustimmt. Wir können doch unsere Zustimmung zu für das Land notwendige Maßnahmen nicht daran koppeln, wer mitstimmt." Ähnliche Worte also wie von Merz.

Scholz: "Brandmauer darf nicht bröckeln"

Bundeskanzler Olaf Scholz warnte die Union vor einer Zusammenarbeit mit der AfD. "Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln", sagte Scholz unter anderem den Stuttgarter Nachrichten. "Bislang hatte ich den Eindruck, dass man sich auf die Aussage des Oppositionsführers verlassen könne, auch nach der Wahl nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten", sagte der SPD-Politiker. "Nun mache ich mir wirklich Sorgen, nachdem die CDU nun ihre Anträge im Bundestag mit Stimmen der AfD durchsetzen will."

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, warnte vor einem "Dammbruch". Sollte Merz die Ankündigung wahr machen, kommende Woche Gesetzentwürfe zur inneren Sicherheit ohne Abstimmung mit den anderen Mitte-Parteien zur Abstimmung zu stellen, "wäre das ein Dammbruch. Damit hätte seine Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag einen Freifahrtschein."

Es gebe eine Vereinbarung auch mit der Union, nur Vorschläge in den Bundestag einzubringen, die mit demokratischer Mehrheit beschlossen werden könnten.

Weidel: "Die Brandmauer ist gefallen"

Auch von den Grünen kamen Appelle an die Union, sich an die eigene Brandmauer nach rechts zu halten. "Die Brandmauer darf weder heute, nächste Woche oder irgendwann fallen", schrieb Parteichefin Franziska Brantner auf der Plattform X. "Herr Merz, ich gehe davon aus, Sie stehen zu Ihrem Wort", schrieb Fraktions-Ko-Chefin Britta Haßelmann. Die CDU hatte 2018 auf einem Parteitag einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD gefasst.

Nach Ansicht von AfD-Chefin Alice Weidel hat sich der nun erledigt. "Die Brandmauer ist gefallen", schrieb Weidel bei X. CDU und CSU hätten ihr Angebot angenommen, in der "Schicksalsfrage der Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen".

Ihr Ko-Parteichef Tino Chrupalla wertete die Merz-Aussagen allerdings noch nicht als einen derartigen Einschnitt: "Die Brandmauer fällt noch nicht, wenn CDU und CSU unsere Anträge der letzten Jahre kopieren und um unsere Zustimmung werben", sagte Chrupalla t-online. "Sie fällt erst, wenn die anderen Fraktionen im Bundestag unseren Anträgen auch zustimmen." 

Merz will "faktisches Einreiseverbot"

Merz hatte unmittelbar nach der Gewalttat in Aschaffenburg weitreichende Verschärfungen in der Asylpolitik angekündigt, sollte er nach der Bundestagswahl im Februar zum Kanzler gewählt werden. Demnach will er am ersten Tag im Amt das Innenministerium anweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Papiere durchzusetzen - auch solche mit Schutzanspruch. Ausreisepflichtige Menschen sollen zudem bis zur Abschiebung in Gewahrsam genommen werden.

Bereits im Sommer hatte Merz von der damaligen Ampel-Regierung gefordert, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Ob das rechtlich zulässig ist, ist hochumstritten.

Vor allem diese Forderungen nach "faktischen Einreiseverboten" hatte viel Kritik ausgelöst - in der Politik aber auch bei Vertretern der Polizei. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnte die Union vor Stimmungsmache im Wahlkampf. "Punktekataloge, vermeintlich starke Worte, schnelle Forderungen werden weder dem Leid der Opfer noch den trauernden Eltern, Angehörigen und Freunden gerecht", sagte Mützenich der Augsburger Allgemeinen. Er warne davor, "vollmundige Ankündigungen zu machen, die nicht nur praxisuntauglich sind, sondern auch gegen internationales Recht verstoßen", so Mützenich.

Nach dem Attentat in Aschaffenburg müsse es "eine schonungslose rechtliche, praktische und politische Aufarbeitung geben". Im Vordergrund stehe, was bei der nicht erfolgten Abschiebung schiefgelaufen sei und warum die bekannten Verhaltensauffälligkeiten des Täters nicht zu ausreichenden Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit geführt haben.

GdP: "Tausende Kollegen mehr nötig"

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält flächendeckende Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen für nicht durchsetzbar. "Wir haben eine Länge von 3.800 Kilometern Binnengrenzen. Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren", sagte der GdP-Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, dem MDR.

Für die Pläne von Merz seien "nicht nur Hunderte, sondern Tausende Kollegen mehr" nötig. Dass Merz alle Flüchtlinge ohne gültige Dokumente zurückzuweisen wolle, sei deshalb "nicht umsetzbar", sagte Roßkopf.

Kritik am "Verantwortungs-Pingpong"

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Pegelow, kritisierte bei tagesschau24 das "Verantwortungs-Pingpong" zwischen verschiedenen Behörden auf Bundes- und Landesebene. Die Debatte sei für die Angehörigen der Opfer ein "schwerer Vorgang, der kaum zu verstehen ist". Es brauche eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden untereinander sowie mit Sozialbehörden und Psychotherapeuten, insbesondere bei straf- und gewalttätigen Personen mit psychischen Auffälligkeiten. Die Polizei könne nur ein Teil eines notwendigen "Bedrohungsmanagements" sein.

Dirk Peglow, Bund Deutscher Kriminalbeamter, zum Behördenversagen im Vorfeld von Aschaffenburg

tagesschau24, 24.01.2025 10:00 Uhr

Pro Asyl warnt vor Politik nach "Trump'scher Manier"

Grundlegende Kritik kam vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Politische Versprechen von Merz wie "Grenzen zu für Geflüchtete" seien "die faktische Abschaffung des Asylrechts". Das sei keine Lösung. Nötig sei stattdessen etwa eine bessere Früherkennung und Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Flüchtlingen. Der Verdächtige von Aschaffenburg wurde inzwischen in die Psychiatrie eingewiesen.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mahnte, Merz habe etwas angekündigt, das rechtlich und praktisch nicht umsetzbar sei. Der Rechtsstaat könne aber "nicht in Trump'scher Manier am Tag eins einer Regierungsübernahme außer Kraft gesetzt werden", sagte Geschäftsführer Karl Kopp der Katholischen Nachrichten-Agentur. Merz ebne damit "auf gefährliche Weise den Weg in eine andere Republik".

Um über Konsequenzen aus dem Angriff in Aschaffenburg zu beraten, soll am Montag eine Sonderkonferenz der Innenminister stattfinden. Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), der aktuell den Vorsitz der Innenministerkonferenz innehat, hat die Innenministerinnen und -minister der Länder sowie Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu dem Treffen eingeladen. Bei der Konferenz soll es auch um den Umgang mit psychisch kranken Straftätern gehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Januar 2025 um 14:00 Uhr.