Neue Verordnung für Mastbetriebe Putenzüchter vor dem Aus?
Dem Tierwohl zuliebe will die Bundesregierung vorschreiben, dass Puten in deutschen Mastbetrieben mehr Platz im Stall erhalten. Die Züchter laufen Sturm: Sie befürchten, dass heimisches Putenfleisch zu teuer wird.
Von Fabian Siegel, SWR
Marcus Könninger, Landwirt aus dem baden-württembergischen Rot am See in der Nähe von Würzburg, bangt um seine Existenz. "Viele Höfe stehen vor dem Aus", klagt er. "Funktionierende Familienbetriebe würden von heute auf Morgen unrentabel." Sein Kollege Thomas Palm aus dem wenige Kilometer entfernten Schrozberg stimmt ihm zu. "Eine ganze Branche ist in Gefahr", sagt er.
Könninger und Palm sind Putenzüchter. Der Grund ihres Ärgers: ein neues Eckpunktepapier aus dem Hause des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. Der Grünen-Politiker will damit Mindestanforderungen für die Putenmast in Deutschland einführen.
Ministerium will weniger Puten in den Ställen
Die wichtigsten Punkte: Putenzüchter sollen ihre Sachkunde nachweisen müssen, die Versorgung der Tiere mit Futter und Wasser oder das Stallklima soll geregelt, Standards für Mindestkontrollen festgelegt werden. So weit gehen die Landwirte noch mit. Viel kritischer sehen sie, dass so genannte Besatzdichte in den Ställen drastisch herabgesetzt werden soll.
Die Besatzdichte regelt - vereinfacht gesagt -, wie viele Putenhennen oder -hähne in einem Stall gehalten werden dürfen. Gemessen wird in Kilogramm Pute pro Quadratmeter Stall - und zwar zum Zeitpunkt, wenn die Tiere ausgewachsen sind. Je weniger Puten in einem Stall, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Tiere sich gegenseitig durch Federpicken verletzen oder kannibalisieren, so die Argumentation des Ministeriums.
Kurzum: Es geht um mehr Tierwohl. Das Eckpunktepapier sieht deshalb vor, dass in Zukunft Grenzwerte von 35 Kilogramm pro Quadratmeter Stall bei Hennen und 40 Kilogramm bei Hähnen gelten.
Geflügelverband spricht von "Traumtänzerei"
Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Zentralverbandes der Geflügelwirtschaft (ZDG), bezeichnet die Pläne als "realitätsverweigernde Traumtänzerei". Es gebe schon längst gut funktionierende freiwillige Verpflichtungen der Landwirte selbst, das betont der Verband beinahe mantraartig, seit das Eckpunktepapier Ende Dezember erschienen ist.
Die freiwilligen Verpflichtungen sähen schon jetzt vor, dass die Besatzdichte in einem deutschen Stall bei Hennen nicht über 52 Kilogramm pro Quadratmeter liegen darf, bei Hähnen bei 58 Kilogramm.
Darüber hinaus gibt es Richtwerte der Initiative Tierwohl (ITW), die noch weiter gehen: 48 Kilogramm bei Hennen und 53 Kilogramm bei Hähnen. Laut der Initiative produziert ein Großteil der Putenzüchter in Deutschland mittlerweile sogar nach diesen noch strengeren Standards.
In anderen EU-Ländern gibt es deutlich laxere oder gar keine Regeln. In Frankreich oder Italien würden teilweise bis zu 70 Kilogramm Pute pro Quadratmeter produziert, erklärt der Branchenverband ZDG.
Kommt das Billigfleisch von EU-Nachbarn?
"Wir produzieren schon jetzt nach sehr hohen Standards", sagt Landwirt Palm aus Schrozberg im Gespräch mit tagesschau.de. Der Verbraucher akzeptiere das, weil er dafür eine bessere Fleischqualität bekomme. Noch produzierten die deutschen Putenzüchter 76 Prozent des Putenfleischs, das in Deutschland auf die Teller kommt, selbst. "Wenn das Ministerium die Produktionskriterien nochmals verschärft, wird dieser Wert drastisch fallen", warnt Palm.
Doch nun sollen die Grenzwerte gegenüber den bisher geltenden freiwilligen Standards noch einmal um rund ein Viertel gesenkt werden. "Dann sind wir irgendwann an dem Punkt, an dem wir nicht mehr zu Preise produzieren können, die der Handel oder der Verbraucher akzeptiert, trotz hoher Qualität des Fleisches", sagt Palm.
Seine Befürchtung: Der Markt werde von billigem Fleisch aus EU-Ländern, die keine Begrenzungen haben, überflutet. Sein Kollege Könninger in Rot am See sieht das ähnlich: "Wir wären dann nicht mehr konkurrenzfähig", sagt er.
Landwirte fordern europaweite Regelung
Beide sagen, sie seien für mehr Tierwohl und hätten sich ja auch den freiwilligen Eckwerten verpflichtet. Doch warum, fragen sie, müsse Deutschland bei der Festlegung verbindlicher Richtwerte einen europäischen Alleingang starten? "Wenn die neuen Regeln nur hier gelten, aber nirgendwo sonst in der EU, führt das nur dazu, dass das Fleisch in anderen EU-Ländern billiger produziert wird, während die deutschen Produzenten auf ihrem Fleisch sitzen bleiben", kritisiert Palm. Auch gebe es keine Anhaltspunkte, warum man das Tierwohl so stark an der Besatzdichte der Ställe festmachen müsse.
Unterstützung bekommt er von Philipp Hofmann von der Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Er hält die Sorgen der deutschen Landwirte für berechtigt: In Österreich etwa seien die Standards vor einiger Zeit verschärft worden, mit der Folge, dass mehr billiges Fleisch aus dem Ausland importiert worden sei. Das könne nur durch eine europäische Verordnung verhindert werden können.
Doch die ist nicht in Sicht. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft teilt mit, man habe sich schon mehrfach auf EU-Ebene für harmonisierte Regelungen bei der Haltung von Mastputen eingesetzt - ohne Erfolg. Ziel müsse jetzt dennoch sein, die Haltungsbedingungen zu verbessern und Gesundheits- oder Verhaltensstörungen wie Federpicken und Kannibalismus unter den Tieren dauerhaft zu vermeiden.
Übergangsfristen für Betriebe geplant
Das vorliegende Eckpunktepapier sei außerdem nur als Diskussionsgrundlage formuliert. Alle relevanten Verbände und Experten seien um eine Stellungnahme gebeten worden. Änderungen sollen nach tagesschau-Informationen bis Ostern eingearbeitet werden. Auch soll es entsprechende Übergangsfristen für Landwirte geben, teilt das Ministerium mit.
Landwirt Palm in Schrozberg glaubt nicht, dass sich trotz der Stellungnahmen der Verbände und Experten an dem Verordnungsentwurf noch viel ändern wird. "Die einzige Hoffnung, die mir bleibt, ist, dass einige Landesregierungen, für die Landwirtschaft eine große Rolle spielt, diesen Vorschlag nicht einfach durchwinken werden", sagt er.