Personalnot nach Pandemie Wo die Gastro-Kräfte geblieben sind
Die Gastronomie sucht händeringend Personal. Doch in der Pandemie haben sich viele frühere Beschäftigte andere Jobs gesucht. Wohin sind sie gegangen? Und warum wollen sie nicht zurückkehren?
"Aufgrund fehlender MitarbeiterInnen können wir Ihnen zurzeit nur eine verkleinerte Auswahl an Speisen anbieten" - das steht auf der Karte in einem Restaurant in Meersburg. Und an vielen Türen zu Bars und Restaurants kleben die "Wir suchen"- Schilder.
Am Eingang vom "Wilden Mann" in Kirchheim unter Teck bei Stuttgart hängt dieser Zettel: "Wir suchen Barkeeper und Servicepersonal - auf Minijob-Basis, Teilzeit oder Festanstellung." Inhaber Deny Scarlino erzählt, dass es gerade nach dem zweiten Lockdown schlechter geworden sei. Sechs Mitarbeiter seien gegangen. "Einer ist Lkw-Fahrer geworden, der andere ist in ein Transport-Unternehmen abgewandert, andere in die Industrie, weil sie dann da auch geregelte Arbeitszeiten haben."
In der Gastronomie müsse man auch dann arbeiten, wenn andere frei haben: an den Wochenenden, an Weihnachten, an den Feiertagen, meint er. Das sei bei anderen Jobs eben nicht so. Außerdem hätten viele Angst vor weiteren Lockdowns gehabt, schildert Scarlino die Situation in seinem Gastronomiebetrieb.
Teststäbchen statt Cocktails
Scarlino hat sich im vergangenen Jahr wie einige Gastronomen entschieden, ein Testzentrum neben seinem Betrieb zu eröffnen. Barkeeper Christopher Thienel hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass er, statt Cocktails zu mixen, Coronatests durchführt. "Für mich persönlich ist das kein großer Unterschied, außer, dass die Stimmung hier nicht ganz so gut ist wie oben, wenn da Party ist", meint er.
Aktuell fehlen Scarlino zwei Leute im Service, zwei in der Küche und einer an der Bar. "Fünf Festangestellte würden mir guttun", meint er. Doch er ist nicht sehr zuversichtlich, dass er seine Personallücke in absehbarer Zeit schließen kann. Der "Wir-suchen"- Zettel wird wohl vorerst an seiner Türe kleben bleiben.
Von der Gastro zum Marketing
Maren Eli ist 33 Jahre, sie hat eine klassische Ausbildung zur Restaurantfachfrau gemacht. Lange Zeit hat sie in der Gastronomiebranche gearbeitet, in Deutschland und der Schweiz. "Dort auch in der High-End Gastronomie", erzählt sie. Sie habe den Job sehr gerne gemacht, ihren Mann, der Koch ist, kennengelernt. Die Wertschätzung für den Gast, wissen, was sie dem Gast serviert, das war Eli wichtig. Dann kam der Lockdown in Deutschland. "Das Kurzarbeitergeld war viel zu wenig", erzählt sie. Sie sei daher in die Schweiz gegangen und habe dort eine Restaurantleitung übernommen. Aber auch dort kamen die Einschränkungen und es ging zurück nach Deutschland.
Schließlich hat Eli entschieden, sich bei einer Marketingfirma zu bewerben. Das hat geklappt. Während der Pandemie saß sie mit Headset und PC im Homeoffice und konnte weitermachen. "Ich dachte, ich kann gar nichts anderes als in der Gastronomie zu arbeiten." Jetzt ist sie für die Kundenbetreuung im Bereich Online-Marketing zuständig und inzwischen befördert worden. "Ich habe tolle Kollegen, bekomme gutes Feedback von den Kunden, vom Chef, und die Arbeit macht Spaß." Sie werde gefördert und gefordert. Auch schätze sie nun, dass sie geregelte Arbeitszeiten habe, keine Wochenend- und Feiertagsdienste mehr habe, Zeit für die Familie. Ein Zurück in die Gastronomie kann sie sich nicht vorstellen.
"Keine Abwanderungswelle"
"Eine Abwanderungswelle gibt es nicht", sagt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. "Bei dem Personalmangel an den Flughäfen, in der Gastronomie, da kann man ja leicht den Eindruck gewinnen, diesen Branchen seien über die Krise die Leute weggelaufen. Das ist tatsächlich gar nicht der Fall. In der Coronakrise hat es weniger beendete Jobs gegeben als vor der Krise. Aber die Branchen haben über einen langen Zeitraum auch sehr wenig Personal eingestellt. Das heißt, die haben einen sehr hohen Nachholbedarf bei Einstellungen", erklärt Weber.
Von der Pandemie seien vor allem die kontaktintensiven Dienstleistungsbranchen wie Gastronomie und andere sehr, sehr stark betroffen gewesen. Diese hätten dann entsprechend auch Beschäftigung abgebaut. "Andere haben gewonnen, nennen wir die Supermärkte, die Lieferdienste, Call-Center oder auch Branchen wie der öffentliche Dienst, das Erziehungswesen oder das Sozialwesen. Da hat sich Beschäftigung verschoben. Aber nicht dadurch, dass Beschäftigte direkt abgewandert wären, sondern dadurch, dass die einen einfach mehr eingestellt haben als die anderen", so Weber.
Corona ist zu schnell für den Arbeitsmarkt
Im Moment fehle es daher in den Branchen, die von Corona betroffen waren, an allen Ecken und Enden. "Die versuchen alle gleichzeitig, ganz kurzfristig jetzt das Geschäft wieder hochzufahren. So schnell ist der Arbeitsmarkt aber einfach nicht. Also Corona ist zu schnell für den Arbeitsmarkt." Mit etwas mehr Zeit und entsprechender Anstrengung werde sich dieser Sondereffekt auch wieder etwas geben, prognostiziert Weber. Doch das könne bis nächstes Jahr dauern. Strecken müsse sich jeder, denn die Leute seien knapp und die Ansprüche seien da. Der Job müsse sich auch an das Leben anpassen und nicht nur umgekehrt, so Weber.
Aus Sicht von Maren Eli muss die Gastrobranche einiges tun. "Viele Arbeitgeber müssen einen Schritt auf die Mitarbeiter zumachen. Das fängt beim Lohn an. In manchen Stellenausschreibungen lese ich, ein Benefit ist die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel oder dass nach Tarif gezahlt wird. Das ist aber kein Benefit, das ist eine Grundvoraussetzung."