Bundestagswahl 2025
Thema Migration im Wahlkampf "Das Bedürfnis nach Sicherheit ist ausgeprägt"
Im Wahlkampf gewinnt das Thema Migration wieder an Bedeutung. Das liegt an Krieg und Krisen, Taten wie in Magdeburg und Aschaffenburg - aber auch an der Strategie der AfD, sagt die Politologin Sabine Kropp.
tagesschau.de: In aktuellen Umfragen werden die Themen Migration, Wirtschaft sowie die Weltlage mit bewaffneten Konflikten und Friedenssicherung bis zum Thema Frieden als "wichtigste Probleme" genannt, im Wahlkampf auch. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Kropp: Wirtschaft, Sicherheit und Migration berühren unmittelbar erfahrbare Grundbedürfnisse. Es ist insofern angesichts der schwächelnden Konjunktur nicht verwunderlich, dass das Thema Wirtschaft zum Topthema wird. Migration wird von einigen Parteien zunehmend als Sicherheitsproblem kommuniziert. Wir nennen das den "Versicherheitlichungs-Diskurs".
tagesschau.de: Was bedeutet das konkret - Migrantinnen und Migranten werden als Bedrohung für die Sicherheit wahrgenommen?
Kropp: Das Thema Migration ist eine Art Kristallisationspunkt für viele andere Themen, die den Menschen Unbehagen bereiten, und die mit den Folgen der Globalisierung und dem raschen Wandel der Gesellschaft einhergehen. Allerdings umfasst "Migration" sehr verschiedene Arten von Zuwanderung, von der Fachkräfteeinwanderung bis hin zur Flucht. Da wird öffentlich mitunter nicht mehr differenziert.
"Sehnsüchte nach einfachen Lösungen"
tagesschau.de: Bei der vergangenen Bundestagswahl rangierte das Thema mit 19 Prozent auf dem dritten Platz, im August 2017 - ebenfalls kurz vor der Bundestagswahl - jedoch mit 47 Prozent an erster Stelle, aktuell ist es mit 37 Prozent ganz oben. Woher kommen diese Unterscheide?
Kropp: Im Wahlkampf 2017 rangierte Migration weit oben, weil das Thema durch die Fluchtbewegungen 2015/2016 noch Teil der unmittelbaren Erfahrungswelt der Bürgerinnen und Bürger war. Im Jahr 2021 war dies nicht mehr so, da stand die Pandemie im Mittelpunkt.
tagesschau.de: Im vergangenen Jahr haben wir deutlich rückläufige Zahlen bei den Asylanträgen im Vergleich zu 2023, weshalb hat das Thema dann jetzt Konjunktur?
Kropp: Es gibt zwar einen Rückgang der Asylbewerberzahlen, aber das Thema ist schon aufgrund der Wahlkampfstrategie der AfD sehr präsent. Die Partei prägt durch ihre Lautstärke und Mobilisierungsfähigkeit den Diskurs. Andere Parteien haben nachgezogen.
Die Forderung nach Abschiebungen in großem Stil ist nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt lauter geworden. Tödliche Angriffe wie der jüngste in Aschaffenburg geben diesen Forderungen nach einfachen Lösungen in einem zunehmend harten Wahlkampf weitere Nahrung. Im konkreten Fall bestand ja sogar bereits die Pflicht zur Ausreise, die von den Behörden allerdings nicht unverzüglich umgesetzt beziehungsweise kontrolliert wurde. Damit werden Sehnsüchte nach einfachen Lösungen eines komplexen Problems geweckt.
"Viele Vorschläge sind teilweise unseriös"
tagesschau.de: Die Ampelkoalition ist über Finanzierungsfragen ihrer Politik zerbrochen. Nun überbieten sich die Wahlkämpfenden mit Ideen, den meisten Menschen hierzulande auch finanziell das Leben zu erleichtern. Was ist davon zu halten?
Kropp: Viele Vorschläge entstammen der Kategorie "Wünsch Dir was". Sie sind teilweise unseriös, schon weil Vorschläge für die Gegenfinanzierung fehlen. Im Nachgang der Wahl wird rasch deutlich werden, dass vieles nicht finanzierbar ist.
tagesschau.de: Umwelt und Klimaschutz spielen hingegen diesmal eine untergeordnete Rolle, im Wahlkampf 2021 landete es als "wichtigstes Problem" auf dem ersten Platz bei Umfragen. Doch selbst die mit Klimaschutz identifizierte grüne Partei nennt auf Plakaten Begriffe wie "Zuversicht" und "Gemeinsam" statt Klimathemen.
Kropp: Das Thema Umwelt hat tatsächlich bei den Wählern an Bedeutung verloren, auch unter den Jüngeren. Es war eine Fehlwahrnehmung, dass das Thema langfristig oben auf der Agenda bleiben würde. Auch jüngere Wählerinnen und Wähler messen Migration und Wirtschaft große Bedeutung bei, zumal diese Themen ihre eigene Lebenswelt unmittelbar berühren.
tagesschau.de: Woran liegt das?
Kropp: Einige Entscheidungen der vergangenen Jahre haben den Klima- und Umweltschutz in der Wahrnehmung der Bürger delegitimiert. So wurde zum Beispiel durch das Gebäudeenergiegesetz der Eindruck erweckt, dass Klimaschutz vor allem Mehrkosten und Verzicht bedeutet und mit ihm in einer ohnehin wirtschaftlich angespannten Lage zusätzliche Wohlfahrtsverluste entstehen können. Insgesamt haben sich diese Befürchtungen zu einer Abwehrhaltung verdichtet.
"Positive Effekte müssen konkret erfahrbar sein"
tagesschau.de: War das nur ein Kommunikationsproblem der Ampelkoalition - zu stark auf die Einschränkungen und Kosten hinzuweisen statt auf die Vorzüge? Oder war es mehr?
Kropp: Die unglückliche Kommunikation ließ sich letztlich kaum noch einfangen. Allerdings sollte man nicht der Illusion aufsitzen, die Akzeptanz politischer Entscheidungen sei allein eine Frage der Kommunikation. Positive Effekte klimapolitischer Maßnahmen müssen konkret im Alltag der Menschen erfahrbar sein.
tagesschau.de: Soziale Ungerechtigkeit war den Wählenden im vergangenen Wahlkampf als Thema wesentlich wichtiger als heute. Eigentlich verwunderlich in Zeiten mit hoher Inflation.
Kropp: Diese Themen werden wieder auf die Agenda gesetzt, spätestens wenn eine neue Regierung verteilungspolitische Entscheidungen, etwa in der Steuerpolitik, trifft. Soziale Gerechtigkeit ist ja gewissermaßen ein Zwilling der Wirtschaftspolitik. Die SPD versucht zum Beispiel in der Rentenpolitik, an diesen ihren Markenkern anzuknüpfen. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob die SPD als Kanzlerpartei das Thema diesmal in Wählerstimmen ummünzen kann.
"Beim Neubau bleiben die Erfolge aus"
tagesschau.de: Die Wohnungsbaupolitik ist von Scholz bei der vergangenen Bundestagswahl mit starken Versprechen verbunden gewesen. Meidet die Politik das Thema eher - weil sie gelernt hat, dass man damit nicht gewinnen kann?
Kropp: Die Wohnungspolitik ist eine zentrale soziale Fragen der Gegenwart. Unter Scholz hat das Politikfeld mit einem eigenen Ministerium wieder mehr Sichtbarkeit bekommen. Aber beim Neubau, im Mietrecht oder bei der Vereinfachung von Bauvorschriften blieben die Erfolge aus.
Zudem ist das Thema im Detail sehr kompliziert und von gegensätzlichen gesellschaftlichen Interessen geprägt. Es geht es um Steuerpolitik, komplexe Förderprogramme, Eingriffe in Eigentumsrechte, Abschreibungsmöglichkeiten und so weiter. Es treten regelmäßig Abwägungskonflikte zwischen Bau- und Umweltpolitik auf.
"Es gibt eine konservative Wende"
tagesschau.de: Familien- und Gleichstellungspolitik scheint von der Agenda verschwunden.
Kropp: Es gibt weltweit eine konservative Wende: Themen der Gleichstellung und eine progressive Familienpolitik erfahren scharfen Gegenwind, unter anderem durch rechtspopulistische Bewegungen. Diese setzen auf eine Retraditionalisierung von Familienmodellen und fahren damit angesichts der scharfen kulturellen Polarisierung in der Gesellschaft durchaus Erfolge ein.
tagesschau.de: Wie schätzen Sie insgesamt die Reformfreudigkeit der Wählenden ein?
Kropp: Eher gering. Angesichts von Krieg und Krisen ist das Bedürfnis nach Sicherheit ausgeprägt. Deshalb wollen die Parteien keinen Wahlkampf mit großen Reformpaketen führen. Sie reagieren auf diese Stimmungslage letztlich mit kaum realisierbaren Versprechen.
Das Gespräch führte Corinna Emundts, tagesschau.de.