Globale Konkurrenz Hat der deutsche Stahl eine Zukunft?
Die Stahlbranche steckt in der Krise - und gilt doch als Schlüsselindustrie. In Duisburg beraten Politik und Industrie über einen Ausweg. Viele Arbeitsplätze sind bedroht.
"Das ist gerade eine doppelte Herausforderung", sagt Stefan Lechtenböhmer. Er ist Energiesystemforscher an der Universität Kassel. "Auf der einen Seite muss die Stahlbranche bei uns grün werden. Auf der anderen Seite muss sie mit dem globalen Wettbewerb klarkommen." Die Rohstahlproduktion in Deutschland bleibt weiter auf niedrigem Niveau. Im Juli 2024 meldete die Branche rund 3,1 Millionen Tonnen, die in Deutschland hergestellt wurden.
In der Stahlindustrie brodelt es: Viele Arbeitsplätze hängen am seidenen Faden. "Die Branche, der Standort, die Zukunft der Industrie, zu vieles steht auf dem Spiel. Wir brauchen jetzt ein klares politisches Bekenntnis", fordert Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der niederrheinischen Industrie- und Handelskammer (IHK).
Die Zeit drängt
Die Krise an Europas wichtigstem Stahlstandort in Duisburg zeige, dass die Zeit drängt. "Die CO2-Ziele wollen wir durch grünen Stahl einhalten, nicht durch stillgelegte Hochöfen. Dann kommt der Stahl aus China. Das ist schlecht für den Standort, für Arbeitsplätze und für die Umwelt", sagt Dietzfelbinger. "Wissen, das uns in vielen Bereichen zum Weltmarktführer gemacht hat, geht dann verloren. Die Industrie darf nicht weiter abwandern."
Jeder fünfte Arbeitsplatz in Duisburg hängt am Stahl. Hier findet heute ein "nationaler Stahlgipfel" statt, eine Veranstaltung des NRW-Wirtschaftsministeriums - nach dem großen Knall bei der Stahltochter von ThyssenKrupp. Die Führungsriege der Stahlsparte hatte hingeschmissen, das Verhältnis zum Mutterkonzern sei zerrüttet. Die Beschäftigten erwarten einen massiven Personalabbau und haben Proteste angekündigt.
Überkapazitäten, veraltete Anlagen, harte Konkurrenz
Politik, Industrie und Fachleute wollen über die Zukunft von deutschem Stahl sprechen. Gleichzeitig sieht man in Duisburg wie durch eine Lupe, welche Probleme Deutschland mit seinem Stahl hat: Überkapazitäten, teils alte Anlagen, Konkurrenz aus dem Ausland, wie der Wirtschaftswissenschaftler Marc Eulerich von der Universität Duisburg-Essen sagt: "Wir haben einen globalen Markt mit vielen Anbietern, die vollkommen andere Rahmenbedingungen haben als ThyssenKrupp in Deutschland. Wir haben schwankende Stahlpreise, wir haben auch immer noch eine schwankende Nachfragesituation und Energiepreise."
Martin Theuringer, Geschäftsführer und Chefvolkswirt der Wirtschaftsvereinigung Stahl, hält auch 2024 für ein "verlorenes Jahr für die Stahlmengenkonjunktur. Denn die Rezessionssorgen haben gesamtwirtschaftlich zugenommen. Viele wichtige stahlverarbeitende Branchen und damit auch die Stahlnachfrage befinden sich unverändert im Rückwärtsgang."
Bund fördert Industrie im großen Stil
Weil Bund und Land den Umbau von ThyssenKrupp Steel mit zwei Milliarden Euro fördern, ist das politische Interesse groß an der Zukunft des heimischen Stahls. Bärbel Bas ist die Präsidentin des Deutschen Bundestags. Die SPD-Politikerin stammt aus Duisburg und sagt: "Der Stahlstandort Duisburg muss eine Zukunft haben. Denn am Stahl hängen bei uns zehntausende Arbeitsplätze, hinter denen stehen Familien und Lebensgeschichten stehen. Aber auch für unser ganzes Land ist unsere heimische Stahlindustrie unverzichtbar - Deutschland sollte sich bei diesem wichtigen Rohstoff nicht abhängig machen."
Auch Marc Tüngler von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz sieht die deutsche Stahlproduktion in einer Krise: "Das hat zu tun mit der Konjunktur, die sieht nicht gut aus. Dann kommen hinzu die hohen Energiepreise bei uns und der hohe Preis für CO2-Emissionen. Da kann man die Frage stellen, kann es in Deutschland und Europa noch eine eigene Stahlproduktion noch geben?"
Wasserstoff als einzige Chance?
Künftig soll die Stahlproduktion in Deutschland mit Wasserstoff laufen. So soll Stahl klimaneutral werden. Die Transformation zu "grünem" Stahl sei für die Branche eine zusätzliche Herausforderung, sagt Energiesystemforscher Stefan Lechtenböhmer. "Es ist aber auch die einzige Chance für die langfristige Erhaltung integrierter Stahlwertschöpfungsketten."
Momentan gebe es noch nicht genug "grünen" Wasserstoff, der mit Erneuerbaren Energien produziert wurde. Aber das sei jetzt auch erst der Beginn. "Gerade arbeiten die ersten Demo-Anlagen und Thyssenkrupp ist einer der ersten Hersteller weltweit, die das im großen Stil an den Markt bringen in den nächsten Jahren", sagt Lechtenböhmer.
Investitionen in Milliardenhöhe
Auch um die CO2-Emissionen zu verringern, will ThyssenKrupp in die wasserstoffbasierte Produktion einsteigen. Dafür soll eine sogenannte "Direktreduktionsanlage" gebaut werden, deren Kosten auf drei Milliarden Euro veranschlagt wurden. Die negativen Nachrichten hören derzeit aber nicht auf: Das in Duisburg geplante "grüne" Stahlwerk könnte teurer werden als bislang angenommen.
Lechtenböhmer sagt: "Wir gehen davon aus, dass wir solche Anlagen in den nächsten Jahren häufig sehen werden, zum Beispiel in Schweden oder China und hoffentlich auch in Deutschland." Der Stahl werde sich dabei gesundschrumpfen müssen. Das sind keine guten Perspektiven für die Stahlarbeiter in Deutschland, die auf Lösungen beim Stahlgipfel von Industrie und Politik hoffen.