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Gespräche über die Ukraine "Wir erleben eine schlimme Schuldumkehr"
Der ehemalige deutsche Botschafter in Russland, Rüdiger von Fritsch, zieht eine verheerende Bilanz der Gespräche zwischen den USA und Russland. Die USA übernähmen nun russische Behauptungen - zulasten der Ukraine. Ein Motiv sei ausschlaggebend.
tagesschau.de: US-Präsident Donald Trump hat nach dem russisch-amerikanischen Gespräch in Saudi-Arabien massive Vorwürfe in Richtung der Ukraine erhoben. Er hat ihr die Verantwortung für den Krieg zugewiesen mit der Formulierung, die Ukraine hätte diesen Krieg niemals zulassen, sondern einen Deal machen sollen. Trifft das aus Ihrer Sicht die Lage in den Jahren 2021/2022?
Rüdiger von Fritsch: Wir erleben hier eine schlimme Schuldumkehr. Man hat das Gefühl, die Ukraine solle Schuld daran gewesen sein, dass sie das Opfer brutaler Aggression geworden ist. Bei manchen Äußerungen aus Washington hat man das Gefühl, hier spricht die Handpuppe des Bauchredners Putin.
Es wird genau das russische Narrativ übernommen und es werden die alten Lügengeschichten neu aufgetischt. Das kann schlimme, weitreichende Auswirkungen haben. Denn die russische Seite ist ja über Jahre nicht müde geworden, nach dem alten Motto zu verfahren: "Wenn ich lange genug behaupte, die Erde sei eine Scheibe, wird schon jemand kommen und sagen: 'Lass uns noch mal nachgucken. Vielleicht stimmt es ja.'" Das erleben wir gegenwärtig in Äußerungen aus Washington in schlimmer Form zulasten der Ukraine.
"Gespräche, die einem große Sorgen machen müssen"
tagesschau.de: Drei Jahre nach Kriegsbeginn setzen sich der amerikanische und der russische Außenminister in Riad zusammen und vereinbaren die Wiederbelebung ihrer diplomatischen Beziehungen. Welches Signal geht davon aus?
von Fritsch: Grundsätzlich ist festzuhalten: Es ist richtig, miteinander zu sprechen. Es wäre richtig, diesen schrecklichen Krieg auf diplomatischem Wege zu beenden. Nur hat Russland sich bislang konsequent einem tatsächlichen Dialog verweigert. Wann immer das Signal kam, man sei zu Gesprächen bereit, war es ausschließlich zu Russlands Bedingungen.
Nach den Gesprächen in Riad drängt sich der Eindruck auf, dass hier nicht ein wirklicher Dialog in der ehrlichen Absicht stattfindet, der Ukraine eine selbstbestimmte, souveräne Zukunft in Sicherheit zu ermöglichen. Von daher sind das Gespräche, die einem große Sorgen machen müssen.
Verhandelt man, so muss man fest in eigenen Werten und den Interessen seiner Bündnispartner verankert sein und dies idealerweise aus einer Position der Stärke heraus tun. Man muss wissen, zu welchen Ergebnissen man die andere Seite bringen kann.
Doch der Eindruck ist, dass es gegenwärtig auf amerikanischer Seite an all diesen Voraussetzungen fehlt. Es sei denn, Washington hat einen großen Plan in der Hinterhand. Der erschließt sich allerdings bislang nicht - insbesondere angesichts der Äußerungen des amerikanischen Präsidenten.

"Eine extreme Schwächung der eigenen Position"
tagesschau.de: US-Verteidigungsminister Pete Hegseth, aber auch Präsident Trump haben vor Beginn dieser Gespräche gesagt, eine Aufnahme der Ukraine in die NATO sei nicht realistisch und die Ukraine müsse Gebiete aufgeben. Ist das purer Realismus oder eine sehr eigenartige Art, Verhandlungen anzugehen?
von Fritsch: Es ist erstaunlich, vor Beginn von Verhandlungen denkbare eigene Konzessionen auf den Tisch zu legen, vor allem, wenn man die russische Art zu verhandeln im Kopf hat. Die russische Seite wird jetzt sagen: "Interessant, vielen Dank, das kassieren wir, und hier sind unsere übrigen Forderungen." Das heißt: Dieses scheinbare Entgegenkommen ist im Grunde genommen eine extreme Schwächung vorab der eigenen Position.
Gegenwärtig gibt es nichts, was darauf hindeutet, dass die USA versuchen werden, Russland zu irgendetwas zu bewegen und bereit wären, dafür geeignete diplomatische, wirtschaftliche, finanzielle und andere Mittel einzusetzen. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass gegenwärtig ausschließlich die Ukraine in vielfältiger Form unter Druck gesetzt wird. Man hat das Gefühl, dieser Konflikt ist der neuen amerikanischen Administration irgendwie gleichgültig oder lästig, und man will ihn los sein.
"Dollarzeichen an der Wand"
tagesschau.de: Welche Rolle spielen dabei wirtschaftliche Erwägungen?
von Fritsch: Zu vermuten steht: sehr große. Der Eindruck drängt sich ja auf, dass die USA immer stärker von eigenen wirtschaftlichen Erwägungen geleitet werden. Es ist bezeichnend, dass auf beiden Seiten in Riad Vertreter wirtschaftlicher Interessen Teil der Delegation waren. Auf der russischen Seite war Kirill Dmitrijew dabei. Warum? Er ist der Chef des russischen Staatsfonds, das heißt, er verhandelt nicht über ein Ende des Konfliktes. Aber er kann der amerikanischen Seite sehr attraktive wirtschaftliche Möglichkeiten in Aussicht stellen.
Und der neue Sonderbeauftragte des amerikanischen Präsidenten, Steve Witkoff, der dabei war, berät möglicherweise Trump, wie sich in der US-Außenpolitik wirtschaftliche Interessen geltend machen lassen können. Wenn das im Vordergrund stehen sollte, ist es der russischen Seite in der Tat gelungen, Dollarzeichen an die Wand zu malen, die Trump begeistern mögen und für die er bereit ist, die sichere und freie Zukunft der Ukraine hintanzustellen oder gar zu vergessen.
tagesschau.de: Die Meldungen sind nicht bestätigt, aber es gibt Berichte darüber, dass die USA der Ukraine einen weitreichenden Forderungskatalog mit wirtschaftlichen Komponenten vorgelegt haben. Würde auch das unterstreichen, dass die USA inzwischen vor allem wirtschaftlich auf den Krieg und ihr Verhältnis zur Ukraine schauen?
von Fritsch: Der amerikanische Präsident hat ja recht deutlich gemacht, dass er erwartet, dass die Ukraine den USA weitreichenden Zugang zu ukrainischen Rohstoffen einräumen. Wenn das eine Bedingung dafür sein soll, dass die USA eine freie und sichere Zukunft der Ukraine ermöglichen, dann ist das eine Forderung nach Reparationen dafür, dass wir, der Westen, die USA, die Ukraine gegen eine brutale Aggression unterstützt haben, die auch unsere Freiheit und Sicherheit bedroht.
"Russland hat seine Forderungen nicht zurückgenommen"
tagesschau.de: Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat nach dem Treffen gesagt, man habe einander nicht nur zugehört, sondern gehört. Wie übersetzen Sie das aus Ihrer Kenntnis der russischen Außenpolitik und auch der Person Lawrows?
von Fritsch: Man kann es so deuten, dass Lawrow damit sagt: "Endlich geht jemand auf unsere Forderungen ein." Hier ist es wichtig zu sehen, dass Russland seit Beginn des Krieges die ultimativen Forderungen, die Wladimir Putin dem Westen vor Kriegsbeginn im Dezember 2021 schriftlich gegeben hatte, um kein Jota zurückgenommen hat. Sie liegen weiter auf dem Tisch.
Wenn Lawrow sich so äußert, dann kann das ein Hinweis darauf sein, dass die russische Seite das Gefühl hat, dass die USA bereit sind, auf genau diese Forderungen einzugehen - Forderungen, die nicht nur die Freiheit, Sicherheit und Zukunft der Ukraine bestimmen, sondern auch die Sicherheit Europas beeinflussen.
"Völlige Verkennung russischen Denkens und Handelns"
tagesschau.de: Sehen Sie irgendein Entgegenkommen Russlands?
von Fritsch: Zunächst einmal hat Russland überhaupt nichts angeboten und ist ganz ersichtlich auch nicht zu irgendwelchen Konzessionen bereit, weil es überhaupt keine Not dazu sieht. Verräterisch war die Äußerung des amerikanischen Präsidenten, er glaube, dass auch Putin ein Ende der Kriegshandlungen und Frieden wünsche. Das ist eine völlige Verkennung russischen Denkens und Handelns.
Putin würde sagen: "Natürlich will ich das, aber ausschließlich zu meinen Bedingungen." Das ist das, was wir gegenwärtig erleben. Es wäre fatal, wenn es in Washington, wo es sehr viel Expertise zu Russland und zu diesem Kriegsgeschehen gibt, zu solch falschen Einschätzungen des Gegenübers kommt.
"Schlafwandelnd in die Gefährdung unserer eigenen Sicherheit"
tagesschau.de: Was folgt daraus für die Europäer? Haben Sie nach dem Treffen von Paris am Montag den Eindruck, dass sie in der neuen Zeit angekommen sind und dass aus diesem Treffen ein Signal ergeht, dass man ein kräftiger Player sein könnte in Gesprächen oder in einer wie auch immer gearteten Nachkriegsordnung?
von Fritsch: Die Europäer sind seit dem furchtbaren Abgang Trumps am Ende seiner ersten Präsidentschaft schlafwandelnd in die Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit und in die geopolitische Irrelevanz hineingewandert. Man hat sehen können, was kommt. Trump hat im Prinzip alles angekündigt. Und die Möglichkeit, dass er wieder Präsident wird und all das umsetzt, war stets vorhanden.
Die Europäer haben es nicht vermocht, in jenen vier Jahren Konsequenzen aus den zwei großen Zeitenwenden zu ziehen, nämlich dem russischen Angriffskrieg und der Wiederwahl Trumps. Das hätte verlangt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik und zu einer gemeinschaftlichen Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit zu kommen. Wenn die Europäer sich jetzt zusammensetzen, ist es zum einen sehr spät. Zum anderen ist es aber der richtige Weg, unter dem ungeheuren Druck der Ereignisse doch noch den Anlauf zu unternehmen, zu Gemeinsamkeit und Geschlossenheit zu kommen.
Wir müssen jetzt in dieser Frage vorankommen. Es wird eine große Aufgabe einer neuen Bundesregierung sein - ganz gleich, wie sie aussehen wird - mit dazu beizutragen, dass Europa sicherheits- und außenpolitisch handlungsfähig wird. Wir müssen dabei immer die Interessen aller 27 Mitgliedstaaten im Kopf haben. Auch um zu verhindern, dass Putin künftig, als Folge der Politik von Trump, Forderungen gegen Einzelne oder uns alle erhebt, denen wir nach der Logik Trumps am besten gleich nachgeben, um zu vermeiden, dass wir Opfer einer Aggression werden.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de